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: Vom Picknick im Wald und den deutlich gezeigten Grenzen dieses Glücks

Mit „Blissfully Yours“ (2002) schenkt uns der thailändischen Filmemacher Apichatpong Weerasethakul Zeit

Ein junger Mann bei einer Ärztin. Der junge Mann spricht nicht, er ist begleitet von zwei Frauen, einer jüngeren, einer älteren: Sie sprechen für ihn. Die Hautkrankheit des jungen Mannes, sagen sie, habe sich nicht gebessert. Sie wollen eine ärztliche Bescheinigung, ohne die er keinen Job bekommt. Es wird hin und her argumentiert, die Ärztin bleibt hart und verweigert die Bescheinigung, sie benötige dafür, sagt sie, einen amtlichen Ausweis des schweigenden Mannes.

Mitten hinein geht „Blissfully Yours“ in seine Geschichte mit diesem Beginn. Harmlos genug, ja völlig alltäglich wirkt diese Szene. Dabei stecken in ihr schon alle Themen des Films, der so viel komplexer ist, als er aussieht. Der junge Mann ist ein Gastarbeiter aus Birma, der Thai spricht – das merken wir später –, aber nicht sonderlich gut. Er ist fremd in Thailand, und er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. „Blissfully Yours“ ist, anders gesagt, ein Film, der Körper nicht einfach als Privatsache betrachtet. Die Räume, die sich ihnen eröffnen, sind zugleich schon begrenzt als politische Räume, und zwar auch und gerade da, wo sie die reine Natur zu sein scheinen.

Mit dem Auto bewegt sich der Film weg aus der Stadt, in Richtung Natur. Der Mann – sein Name ist Min (Mino Oo) – fährt mit der älteren Frau, sie heißt Orn (Jenjira Jansuda), in eine Fabrik, in der die jüngere Frau – ihr Name ist Roong (Kanokporn Tongaram) – kleine Disneyfiguren anmalt. Roong nimmt sich mit einer Lüge frei. Im Auto, auf dessen Armaturenbrett kleine, angemalte Disneyfiguren stehen, fährt sie mit Min aufs Land. Sie gehen durch einen Wald, einige Minuten lang, zu hören sind die Geräusche des Waldes und seiner Tiere. Roong und Min picknicken bei herrlichem Ausblick, sie unterhalten sich, sie pflücken Früchte von Bäumen, später wird Roong Min am Ufer eines kleinen Flusses einen blasen, noch später werden Roong und Orn Min im Wasser baden wie Kinder.

Die Zeit, die vor unseren Augen vergeht, ist Zeit, die sich Roong, Min und Orn eigenmächtig genommen haben. Das macht sie zu wertvoller, keinem politischem, keinem Arbeitsregime unterworfener Zeit, zu Zeit, die einen Freiraum eröffnet. Indem er erst während der Fahrt hinaus aufs Land zu verspieltem Thai-Pop den Vorspann laufen lässt, stellt sich der Film auf die Seite dieser Zäsur in der Zeit. Er überlässt sich und seine Figuren diesem Raum des Waldes und der Natur – weist aber auf die Grenzen dieses Glücks immer wieder nachdrücklich hin: Min bleibt, seine Familie in Birma vermissend, in Thailand ein Fremder, und Orn, die ältere Frau, trauert um ihr ertrunkenes Kind. Auch im Wald hört man Maschinen und sieht verstreutes technisches Arbeitsgerät.

Apichatopong Weerasethakuls Filme sind politisch präzise, besitzen zugleich aber absurden Witz, Eleganz, eine tiefe Freundlichkeit allem gegenüber, das sie zeigen. Was sie so einzigartig macht, ist vor allem ihre emphatische Offenheit fürs gar nicht Besondere, das aber angesichts dieser Offenheit und Geduld ganz eigentümliche Verführungskräfte entfaltet. Ihre Offenheit ist so fundamental, dass sie alle Konventionen so sanft wie selbstverständlich missachtet. Das gilt auch und gerade für ihre Form. Auch sie kann sich jederzeit öffnen für Fremdkörper, die der Film freudig auf dem eigenen Gebiet empfängt, ohne sie sich sofort aneignen zu müssen. So hören wir mitten im Film eine Stimme aus dem Nichts, aus dem Off. Min spricht – aber fast zögert man, dieses Ich sofort wieder zu objektivieren – und erzählt, wie er von Roong Thai gelernt hat. Er erwähnt auch kleine Zeichnungen, die er heimlich anfertigt. Und während er spricht, aus dem Off, sehen wir weiße Schriftzeichen, gleich darauf krakelige Zeichnungen, die übers Filmbild geblendet werden und dann wieder verschwinden.

Alles ist möglich in Apichatpong Weerasethakuls Filmen. Sie sind voller erstaunlicher Fremdkörper, verzauberter Dinge, erstaunlicher Neuanfänge und grotesker Einfälle. Nun haben die Filmemacher von der Filmzeitschrift Revolver den vielleicht immer noch schönsten der Filme des Regisseurs auf DVD herausgebracht. Man sollte ihnen dankbar sein und sich durch den Kauf reich beschenken.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist im Fachhandel zum Beispiel bei www.filmgalerie451.de erhältlich und kostet 14,90 Euro