Zum Scheitern verdammt

Roméo Dallaire war 1994 Befehlshaber der UNO-Truppen in Ruanda. Sein Bericht zeigt das dramatische politische Versagen der UNO angesichts des Genozids an den Tutsi

VON RUDOLF WALTHER

Roméo Dallaire zieht eine bittere Bilanz seiner Mission. Sie bildet „eine Geschichte des Verrats, des Scheiterns, der Naivität, der Gleichgültigkeit, des Hasses, des Völkermords, des Kriegs, der Unmenschlichkeit, des Bösen“, aber er selbst möchte nicht „der Sündenbock für alles“ sein, „was in Ruanda schief gegangen ist“.

Der Völkermord an den Tutsi in Ruanda mit 800.000 bis einer Million Opfern innerhalb von 100 Tagen – also 8.000 bis 10.000 pro Tag – gilt mit Recht als größte menschen- und völkerrechtliche Katastrophe nach 1945. Der kanadische Offizier Roméo Dallaire leitete die UNO-Mission vom August 1993 bis August 1994. In seinem über 600 Seiten starken Buch „Handschlag mit dem Teufel“ gibt er ausgehend von seinem Kalender und seinen Tagebüchern detailliert Auskunft über den völlig missglückten Versuch, die Katastrophe abzuwenden.

Nachdem Dallaire als Leiter eines Vorauskommandos das politische und militärische Terrain in Ruanda sondiert hatte, kam er zum Ergebnis, dass eine friedenserhaltende Truppe wenigstens 5.500 Soldaten umfassen müsste, um wirksam agieren zu können. Als die Massaker nach dem Abschuss des Flugzeugs des Präsidenten Juvénal Habyarimana am 6. April 1994 begannen, hatte er noch nicht einmal 500 Mann und zu keiner Zeit mehr als 1.000 Mann zur Verfügung. Jeder Soldat besaß am Anfang zwei Magazine mit Munition – vierzig bis sechzig Schuss: „Damit ließe sich ein Kampf von ein bis drei Minuten ausfechten, dann würden wir Steine werfen müssen.“

Es war jedoch nicht nur die ungenügende materielle Ausstattung, die geradewegs ins Fiasko führte. In der UNO, insbesondere beim Sicherheitsrat, also bei den Großmächten, fehlten der politische Wille und die Flexibilität, sich ernsthaft zu engagieren. Dafür gibt es viele Gründe.

Die beiden wichtigsten waren wohl die Katastrophe des UN-Einsatzes in Somalia (1993) und die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen auf dem Balkan. Somalia wurde zum Menetekel, und der Krieg auf dem Balkan lag den USA wie den europäischen Staaten buchstäblich näher als die Vorgänge in Afrika.

„Ausbluten lassen, hieß fortan die Parole für das von Warlords zerrissene Somalia – auch für Ruanda“, schreibt Dominic Johnson, der dem Buch ein sehr informatives Nachwort zur Geschichte Ruandas und zur Vorgeschichte des Massakers beigesteuert hat. Diese Erfahrung ist deprimierend, denn die kleine UNO-Truppe war nicht in der Lage, hunderttausenden von Flüchtlingen, die sich nach dem Beginn der Massaker in Bewegung setzten, Schutz und Nahrung zu bieten. Dallaires Resümee: „Tatsächlich waren wir nichts als ein Feigenblatt.“

Als „ein Signal für die Völkermörder“ deutet Dallaire die Aktion, mit der Belgien und Frankreich kurz nach Beginn der Massaker 650 Europäer ausflogen. Regierungstruppen, Milizen und die Tutsi-Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RFP) erkannten darin ein Zeichen von Desinteresse. Dallaires energische Pendeldiplomatie, um einen Waffenstillstand zwischen Regierung und Regierungsarmee auf der einen und den Tutsi-Rebellen der RFP auf der anderen Seite zu vermitteln, scheiterte. Die Rebellen verlangten, dass vor einem Waffenstillstand das Morden aufhören müsse, und die in die Defensive geratene Regierung wollte sofort einen Waffenstillstand, um ihre Truppen neu aufstellen zu können. Unterdessen töteten die Hutu-Milizen und die regierungstreue Gendarmerie, aufgehetzt vom berüchtigten Sender Radio Télévision Libre des Milles Collines, wahllos Zivilisten, die sie für Tutsi hielten. Nach dem Sieg der Rebellenarmee kam es am 18. Juli endlich zu einem Waffenstillstand.

Aber das Elend ging weiter, denn nun flüchteten hunderttausende von Hutu aus Angst vor Rache durch die Wälder nach Zaire. Für ihre Versorgung gab die nun langsam erwachende „Staatengemeinschaft“ innerhalb von zwei Jahren zehnmal mehr Geld aus als für die UN-Mission.

Das Buch von Dallaire beeindruckt nicht so sehr durch unbekannte Fakten oder Interpretation, sondern durch die Art, wie es nüchtern Bilanz zieht und Szenen beschreibt, die erahnen lassen, welcher psychischen Belastung die Soldaten ausgesetzt waren, die Zeugen des Massenmords wurden. Dallaire schreibt: „Meine nächtlichen Träume verwandelten sich am Tag in Realität – zunehmend konnte ich eines vom anderen nicht mehr unterscheiden.“

Er wurde davon krank. Nach seiner Rückkehr musste er sich in psychiatrische Behandlung begeben. Er leidet bis heute an einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ und kann nicht ohne Medikamente leben.

Roméo Dallaire: „Handschlag mit dem Teufel. Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda“. Unter Mitarbeit von Brent Beardsley. Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos. Mit einem Nachwort von Dominic Johnson. Verlag zu Klampen, Springe 2008, 651 Seiten, 24,80 €