Ein Label für fairen Tourismus

Ausgerechnet im Land des Reiseweltmeisters Deutschland gibt es kein allgemein bekanntes Siegel für soziale und umweltschonende Urlaubstouren. Seit zwei Jahren setzt sich eine länderübergreifende Arbeitsgruppe dafür ein, dies zu ändern. Anfang 2009 sollen die Kriterien vereinbart sein

VON MARTIN REEH

Der faire Handel hat eines. Die Biobranche gleich mehrere. Produkte wie Lacke und Bürogeräte werden schon seit 1978 mit dem „blauen Engel“ für Umweltfreundlichkeit ausgezeichnet. Nur der Tourismusbranche fehlt – ausgerechnet im Land des Reiseweltmeisters Deutschland – bis heute ein allgemein bekanntes Siegel für soziale und umweltschonende Urlaubstouren.

Seit zwei Jahren setzt sich nun eine länderübergreifende Arbeitsgruppe dafür ein, dies zu ändern. „Wenn alles gut geht, kommt das Siegel Anfang 2009“, hofft Heinz Fuchs, der „Tourism Watch“, eine Unterorganisation des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), in dem Gremium vertritt. Die Gruppe möchte kein neues Siegel in den Markt einführen, sondern das bekannte Fairtrade-Emblem auch für Urlaubsreisen verwenden. Schwerpunkt der Kriterien bei der Vergabe sollen soziale Aspekte und hier vor allem die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Tourismusbranche sein. In den letzten Jahren sei sehr viel über Umweltfragen im Tourismus debattiert worden, nun gelte es, auch soziale Fragen zu thematisieren, meint Fuchs. Geringe Löhne, Arbeiten ohne festen Vertrag, endlose Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden und fehlender Mutterschaftsurlaub seien gängige Praxis in der Tourismusbranche, glaubt man beim EED. Oft wissen auch die Reiseveranstalter nicht, wie die Arbeitsbedingungen vor Ort sind.

Noch sind nicht alle Kriterien für eine Siegelvergabe festgelegt. Geregelte Arbeitszeiten, eine Kranken-, Urlaubs- und Arbeitslosenversicherung gehören aber auf jeden Fall dazu. Hinzu kommen Fragen der regionalen Entwicklung – vom Tourismus sollen nicht nur die unmittelbar Beschäftigten profitieren. Produkte müssen aus der regionalen Landwirtschaft stammen, Aufträge beim Bau von Hotels und Resorts an örtliche Handwerker gehen. Zertifiziert werden sollen nicht die gesamten Unternehmen, sondern nur einzelne Reiseangebote.

Es ist jedoch unklar, ob die Reisebranche mitmacht. Insbesondere die im „Forum Anders Reisen“ zusammengeschlossenen kleinen rund 160 Reiseveranstalter sehen die Entwicklung skeptisch, vor allem wegen der Kosten für die Zertifizierung. „Das Label kostet sehr viel Geld – und das können sich viele kleine Veranstalter nicht leisten“, meint Mitarbeiterin Ute Linsbauer. Das Forum setzt daher auf die Selbstüberprüfung der eigenen Veranstalter und hat gerade, in Zusammenarbeit mit dem EED, einen „Leitfaden Corporate Social Responsibility (Unternehmensverantwortung) im Tourismus“ verabschiedet. Mit Übergangsfristen bis 2010 sind dann alle Mitglieder des Forums verpflichtet, die Einhaltung der Leitlinien in den Betrieben nachzuweisen und die Berichte darüber zu veröffentlichen. Kriterien sind unter anderem die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsrechte, Schutz von Kindern vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung sowie eine umweltschonende Anreise.

Die Umweltaspekte sind in den CSR-Leitlinien allerdings schwächer formuliert als in dem bisher gültigen unverbindlichen Kriterienkatalogs des Forums: Dort war noch untersagt, Flüge über 2.000 Kilometer mit einem Aufenthalt von unter 14 Tagen anzubieten. In der Öffentlichkeit sei das Forum zu oft mit diesem Kriterium identifiziert worden, meint Linsbauer. „Wir sind aber nicht nur das Forum Anders Anreisen.“ Die bisherige Richtlinie hat sich für die Firmen nicht immer als praktikabel erwiesen: „Was machen wir mit Reisen, die ein paar Tage kürzer sind, aber ansonsten umfassende Nachhaltigkeitskriterien erfüllen?“, fragt Linsbauer. Sicher sei aber: „Wir werden auch künftig keine Shoppingtouren nach New York anbieten.“

Tourism Watch will sich mit dem Siegel ohnehin auf die großen Reiseunternehmen konzentrieren. „Ein kleiner Veranstalter braucht nicht unbedingt ein Label“, glaubt Heinz Fuchs. Geschäftsbeziehungen würden hier meist über persönliches Vertrauen der Kunden angebahnt. Gespräche mit den Unternehmen visiert Tourism Watch ab Herbst an. „Das Label lässt sich nicht gegen die Tourismuswirtschaft einführen.“

Zumindest bei TUI Deutschland gibt man sich vorsichtig, aber aufgeschlossen. „Der inhaltliche Hintergrund eines solchen Labels würde zu uns passen“, so Pressesprecher Michael Blum. „Ob dann das konkrete Label dann zu uns passt, muss man abwarten.“ Die TUI fördere bereits seit langem nachhaltige Entwicklung im Tourismus.

Scheitern kann ein baldiges Fairtrade-Label für Tourismus aber auch an den Fairtrade-Organisationen selbst: Gerade weil der faire Handel durch das Siegel boomt, gibt es Konkurrenz um die Frage, auf welche Produkte es demnächst ausgeweitet werden soll.

Dabei gibt es auch Gruppen, die es zunächst auf Produkte von Minenarbeitern anwenden wollen. Nun muss die Vollversammlung der Fairtrade-Gruppen im nächsten Frühjahr entscheiden.