Eine Frage der Ehre – und der Ökonomie

Ohne Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, gäbe es viele Aktivitäten im fairen Handel nicht. Doch Kritiker mahnen eine Professionalisierung an, um auch bei komplexen Herausforderungen weiter wachsen zu können

Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, sollte sich im Vorfeld auch über den eigenen Versicherungsschutz Gedanken machen.Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e. V. rät Trägern freiwilligen Engagements, die ehrenamtlichen Mitstreiter grundsätzlich und ausdrücklich von der Haftung für Schäden durch einfache Fahrlässigkeit freizustellen. Kosten für Sachschäden durch leichte Fahrlässigkeit im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeit sollten von der Organisation übernommen werden. KS

In der Broschüre „Sicherheit im Ehrenamt – gut gesichert Gutes tun“ geht es um den Versicherungsschutz von Ehrenamtlichen. Sie kann bestellt werden unter 08 00-742 43 75 oder heruntergeladen werden unter: www.gdv.de/Downloads/Homepage/Brosch_Ehrenamt_2007.pdf

Rolf Berger ist ein Multi. Über 40 Jahre hat er im Vertrieb des Bonner Süßwarenherstellers Haribo gearbeitet. Vor einigen Jahren, im Alter von 76, ist er wieder in den Handel eingestiegen. Doch seitdem geht es um fair gehandelte Waren, von denen Berger andere Menschen überzeugen möchte – als Multi von TransFair, dem gemeinnützigen Verein zur Förderung des fairen Handels und Lizenzgeber des Fairtrade-Siegels.

Die Multis oder Multiplikatoren sind ehrenamtliche Mitarbeiter, die in Supermärkten, auf Messen, bei Stadtfesten, Sportveranstaltungen oder in Schulen über den fairen Handel informieren und Verbrauchern entsprechende Produkte zum Beispiel bei Verkostungen schmackhaft machen. „Vorher werden die Multis natürlich von uns geschult“, sagt Maren Richter von TransFair. Menschen wie Rolf Berger sind ein Glücksfall für den fairen Handel. Seine Erfahrung mit dem Verkaufen kommt ihm hier zugute. „Wenn man das 42 Jahre lang gemacht hat, dann weiß man einfach, wie so etwas funktioniert“, sagt er.

Auch jenseits des fairen Handels sind viele Bundesbürger ehrenamtlich aktiv. 34 Prozent der über 14-Jährigen, das sind insgesamt 23,4 Millionen Menschen, engagieren sich freiwillig, so das Ergebnis des zweiten Freiwilligensurveys, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben hatte. Vor allem Jugendliche und ältere Menschen zwischen 60 und 69 arbeiten ehrenamtlich. Die Motivation dahinter? Die meisten wollen durch ihr Engagement die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitgestalten, heißt es in dem Bericht des Ministeriums.

Über 100 Freiwillige arbeiten heute für TransFair. „Ohne sie sähe es schlecht für uns aus“, weiß Richter. Nach Angaben des Forums Fairer Handel sind deutschlandweit viele tausend Menschen in über 800 Weltläden, mehreren tausend Aktionsgruppen und den Mitgliedsorganisationen von TransFair ehrenamtlich tätig. Ohne sie gäbe es längst keinen fairen Handel mehr und gerade die Weltläden könnten ohne sie nicht existieren. Zu etwa 90 Prozent arbeiten hier Ehrenamtler.

„Doch genau das ist auch problematisch“, sagt Martin Lessing, Betreiber des El Martin, eines Fachgeschäfts für fairen Handel in Düsseldorf. „Damit der faire Handel sich professionalisieren und damit auch expandieren kann, sind mehr bezahlte Mitarbeiter nötig.“ Ehrenamtliche leisten zwar gute Arbeit, aber in der Regel nur für wenige Stunden in der Woche. „Das Warenangebot in Weltläden ist jedoch sehr komplex und man braucht einfach Zeit, um damit richtig vertraut zu sein und Kunden umfassend beraten zu können.“ Hinzu komme, dass Absprachen schwierig seinen, wenn in einem Laden 50 verschiedene Menschen arbeiten. Für kleine Weltläden, die sich in Kirchengemeinden befinden und ohnehin nur wenige Stunden geöffnet sind, ist das weniger ein Problem als für größere. Immerhin: In immer mehr Weltläden gibt es mittlerweile zumindest einen bezahlten Mitarbeiter. „Doch dass alle entlohnt werden, ist nur bei einer Handvoll Läden der Fall“, so Lessing, der einen davon betreibt. Außer ihm selbst arbeiten dort noch drei 400-Euro-Kräfte. „Es war schon immer eine Grundidee des fairen Handels, dass möglichst viel Geld in den Süden zu den Produzenten fließt“, sagt der Geschäftsmann. Doch das habe bei den Läden in Deutschland zur Folge, dass kaum Geld für die Ladenmiete, geschweige denn die Mitarbeiter bleibe. „Entscheidend wäre ein Umdenken bei Lieferanten und Importeuren in dem Sinne, dass nur mit auskömmlichen Margen für die Läden auch professionelle Fachgeschäfte mit bezahlten Mitarbeitern möglich sind. Und damit eine Ausweitung des fairen Handels.“

Jürgen Sokoll vom Eine Welt Netz NRW sieht das weniger problematisch. „Da in Weltläden keine oder kaum Personalkosten entstehen und die Ladenmieten oft gering sind, ist deren ökonomisches Risiko gleich null.“ Weltläden seien von Anfang an auch Teil einer politischen Bewegung gewesen. „Hier werden noch heute nicht nur Waren verkauft, sondern auch politische Botschaften transportiert.“ Je ökonomischer die Weltläden würden, desto weniger würden sie diese Funktion übernehmen, fürchtet er. Darüber hinaus hätten Weltläden oftmals eine bestimmte Funktion im Stadtteil und böten Raum zur Selbstentfaltung – etwa für den Schüler oder die Studentin, der sich im Weltladen inhaltlich und praxisnah mit dem Thema fairer Handel auseinandersetzen kann. Oder für den Rentner, der sich freut, ein paar Stunden in der Woche ehrenamtlich etwas Sinnvolles zu tun. So wie Rolf Berger. „Wenn ich weiß, dass es für eine gute Sache ist, dann macht es noch mehr Spaß“, sagt der Multi.KRISTINA SIMONS