Müll zu Strom

Gut 230.000 Tonnen Gewerbeabfall aus der Region will die SWB künftig verstromen: Die im Mittelkalorik-Kraftwerk gewonnene Energie wird vom Kohlemeiler des Unternehmens verbraucht

Ein Mittelkalorik-Kraftwerk erzeugt Strom aus einer heizwertreichen, zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen stammenden Mischung aus Papier, Kunststoff, Holz und Verpackungsresten, die stofflich nicht mehr recycelt werden. Sie haben einen Brennwert von durchschnittlich 14.000 Kilojoule pro Kilogramm. Das ist in etwa so viel wie bei trockener Braunkohle – aber nur knapp halb so viel wie bei Steinkohle. Zum Vergleich: Normaler Hausmüll kommt auf rund 7.000, Heizöl auf 40.000 und Kerosin auf etwa 42.000 Kilojoule pro Kilogramm. mnz

AUS DEM KRAFTWERK JAN ZIER

Sie nennen es die „Kathedrale“. Von ihrer Empore aus blickt man 25 Meter in die Tiefe. Und nach oben. Noch ist es an diesem in schlichtem, grauen Stahlbeton gehaltenen Ort am Rande des Bremer Industriehafens fast andächtig ruhig. In weiter Ferne dröhnen Bohrmaschinen, rattern Kipplaster. Kaum ein Fenster erhellt den Raum. Bald wird er erfüllt sein von, nun ja, Müll – aber dieses Wort hören sie bei der SWB nicht so gerne. Sie sprechen lieber von „Mittelkalorik“.

Was das ist? Eisenbahnschwellen. Fußbodenbeläge. Verpackungen. Altpapier. Sortierreste. Bunt gemischte Gewerbeabfälle also, die zusammen in etwa so gut brennen wie sonst trockene Braunkohle. Reststoffe, die nicht in die schwarzen Tonne gehören, aber nach Meinung der SWB auch nicht mehr fürs Recycling taugen.

Also werden sie hier künftig verbrannt – im „Mittelkalorikkraftwerk“ (MKK). Es ähnelt einer herkömmlichen Müllverbrennungsanlage, hat aber mit gut 27 einen um gut sieben Prozent höheren Wirkungsgrad.

Ab dem kommenden Jahr sollen hier 235.000 Megawattstunden elektrische Energie erzeugt werden. Gut 90.000 Haushalte in Bremen könnten so mit Strom versorgt werden. Theoretisch jedenfalls. Denn de facto wird das MKK im Wesentlichen den Strombedarf des benachbarten Kohlekraftwerks der SWB bedienen. Das braucht selbst bis zu 50 Megawatt an Strom, das MKK liefert etwa 30 Megawatt. „Der Großteil des Stroms wird also nebenan gleich wieder verfrühstückt“, sagt Projektleiter Jens-Uwe Meyer. Und was dann noch übrig bleibt, wird als Fernwärme in den Bremer Westen fließen.

Die SWB feiert ihr MKK als „Meilenstein“ auf dem Weg zu ihrem Klima-Ziel: Das lautet, bis 2020 den Kohlendioxid-Ausstoß um 20 Prozent verringert zu haben. „Das ist ein gleichermaßen ökologisch wie ökonomisch sinnvolles Projekt“, lobt sich die SWB – denn dank der Mittelkalorik kann sie bei gleicher Stromproduktion 90.000 Tonnen Kohle jährlich einsparen. Außerdem seien die Rohstoffe ja gut zur Hälfte biogener Natur – und damit jedenfalls teilweise CO2-neutral. Wie viel Kohlendioxid genau gespart wird, ist indes unklar.

Und natürlich ist das auch nur ein – öffentlichkeitswirksamer – Nebeneffekt der mehr als 110 Millionen Euro teuren Anlage. Natürlich könnte man den Strom für die Kohlemeiler auch an der Börse einkaufen, sagt Unternehmenssprecher Christoph Brinkmann. „Aber das wäre viel teurer.“ Und auf Dauer viel unsicherer obendrein, zumindest was die Preiskalkulation anbetrifft.

Außerdem lässt sich mit so einem MKK durchaus auch Geld verdienen, selbst wenn es überwiegend für den Eigenbedarf produziert. Da ist zunächst der angelieferte Gewerbemüll, gut 230.000 Tonnen pro Jahr. Doch wie viel die SWB dafür erlöst, bleibt ihr Geheimnis. Zumindest ist es überwiegend Abfall aus der Region, aus einer Entfernung von maximal 120 Kilometern. Drei Viertel des Mülls kommen aus einem Umkreis von 50 Kilometern. Und hierzulande – wie in Bremerhaven geschehen – Müll aus Neapel zu entsorgen, das, sagt Meyer, „machte eigentlich keinen Sinn“.

Aber nicht nur mit dem angelieferten, auch mit dem im MKK entstehenden Abfall lässt sich noch Geld verdienen. 65.000 Tonnen Schlacke sollen hier pro Jahr entstehen.

„Absolut umweltneutral“ sei die, betont Brinkmann, und ein „begehrter Baustoff“ im Straßenbau. Und der Rest – mehr als 13.000 Tonnen im Jahr? Ist giftig – und muss in einer hessischen Hochsicherheitsdeponie unter Tage entsorgt werden. Er wird schließlich, zum Teil jedenfalls, in Behältnissen gebunden, die sie hier „Elefantenstrümpfe“ nennen. Sie enthalten neben anderen Schwermetallen unter anderem Quecksilber und Cadmium. Angeliefert wird das Mittelkalorische zunächst ausschließlich auf der Straße: Bei der SWB rechnet man mit bis zu acht 20-Tonnern pro Stunde. Zwar fährt auch die Bahn bis ans Kraftwerk, und auch von der Weserseite ließe sich problemlos Gewerbemüll heranschaffen. Doch bislang gibt es dafür keine Nachfrage.