Erlösung durch Weitschüsse

Bremen nimmt nach dem Stotterstart in die neue Saison mit dem 3 : 0 gegen Cottbus Tempo auf. Um den Abwehrriegel der destruktiv spielenden Gäste zu knacken, brauchten die Werderaner allerdings beachtliche 75 Minuten

Hat Werder nur einen unglücklichen Stotterstart in die neue Saison hingelegt oder hat die Mannschaft ein ernsthaftes Problem? Diese Frage spukte nach zwei kümmerlichen Punkten aus drei Spielen in den Köpfen der 40.000 Zuschauer herum. Ein älterer Herr auf der Südtribüne wusste schon vor dem Spiel die Antwort: „Ihr müsst die Jungs mal richtig fertig machen“, forderte er die hinter ihm sitzende Journalistenriege auf, „es ist viel zu ruhig bei Werder“.

Die geforderte Schelte wird ausbleiben. Die Werder-Elf strapazierte zwar die Nerven der Anhänger mehr als nötig – das lag aber nicht an mangelnder Aggressivität der Bremer, sondern vor allem an der destruktiven Spielweise des Gegners. Oder mit Per Mertesackers feinem Gespür für Ironie ausgedrückt: „Cottbus hat unsere Abwehrreihen nicht permanent unter Druck gesetzt“. „Cottbus“ – dieser Name steht bei spielstarken Heimmannschaften längst als Synonym für „Nervenkrieg“. „Entweder man schießt ein frühes Tor oder es wird eine Geduldprobe“, fasst Werder-Trainer Thomas Schaaf zusammen.

Die Angst davor, das beruhigende frühe Tor nicht zu schießen, sitzt mittlerweile so tief, dass sie zu dem führt, was Soziologen eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ nennen. So dauerte es beim letzten Gastspiel der Lausitzer im Mai 67 Minuten bis zur Erlösung durch Marcus Rosenberg. Diesmal verstrichen gar noch acht weitere Minuten, bis sich 70 Prozent Ballbesitz und gefühlte hundert Angriffe auf den Cottbuser Catenaccio im Ergebnis niederschlugen.

Thomas Schaaf konnte zwar erstmals seit langer Zeit seine Wunschformation aufbieten – die hatte aber bedingt durch Verletzungen und Länderspielabstellungen bislang kaum zusammen trainiert. Geschweige denn gespielt. Gerade gegen den dicht gestaffelten Abwehrriegel der Cottbuser fehlten den Bremern die eingeübten Automatismen im Kurzpassspiel. Zahlreiche Angriffe der Offensivabteilung mit Pizarro, Rosenberg, Diego, Frings und Jensen blieben im Stückwerk stecken. Die wenigen zwingenden Torchancen vergab das Sturmduo überhastet.

Auch Diego, der erst am Vortag von der WM-Qualifikation aus Südamerika zurückgekommen war, hatte viele gute Einzelaktionen, konnte seine Mitspieler aber lange Zeit nicht wie gewohnt in Szene setzen. Die Standardsituationen und Flanken der Bremer erinnerten an die neue supermoderne Ballmaschine des FC Bayern München – sie landeten immer wieder zentimetergenau an derselben Stelle: in den langen Arme von Cottbus-Torwart Gerhard Tremmel.

Wenn weder kurze Pässe noch hohe Flanken zum Ziel führen, gibt es immer noch Weitschüsse. Daran erinnerte sich Vielflieger Diego trotz Jetlag in der 75. Minute: Aus zwanzig Metern setzte er von links den Ball unhaltbar in den gegenüberliegenden Torwinkel. Fünf Minuten später produzierte Torsten Frings, als wäre er programmiert worden, eine exakte Dublette des Diego-Treffers. Den 3 : 0-Endstand stellte der kurz zuvor eingewechselte Boubacar Sanogo dann aus kurzer Entfernung her.

Neben der beruhigenden Erfahrung, dass „ wir solche Teams wie Cottbus mit viel Einsatz und unseren spielerischen Möglichkeiten niederkämpfen können“, kann Thomas Schaaf vor allem auf einer Erkenntnis dieses Spiels aufbauen: Diego und Özil schließen sich im Mittelfeld nicht aus. Mesut Özil brachte nach seiner Einwechslung in der 65. Minute nicht nur neuen Schwung in das festgefahrene Kombinationsspiel, sondern gab auch die Vorlage zum Führungstreffer des Brasilianers. Diego plus Özil – das könnte bereits eine Option für das nächste Wochenende sein. Dann geht’s zu den Bayern und ihrer Ballmaschine. RALF LORENZEN