Eine Stadt spielt Olympia

Es wird aufgerüstet: Dritte Sportstunde, eine neue Leichtathletikhalle, ein Hockeystadion und eine Rekordmarke bei den in Sportvereinen Aktiven. Hamburg will auf der Sporteventwelle um jeden Preis zu den Olympischen Spielen surfen

von OKE GÖTTLICH und JÖRG FEYER

Jeder dritte Bürger interessiert sich für den Sport. Wenn auch Freizeitforscher Horst W. Opaschowski prognostiziert, dass bis zum Jahr 2010 nur noch 25 Prozent der Deutschen sich mindestens einmal pro Woche auf Trab bringen. Das passt zwar nicht recht in das Bild der Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012, aber die Szene weiß, wie es trotzdem klappt: „Um eine Rassel zu schwingen und zu Modern Talking abzurocken, muss man schließlich keine körperliche Fitness, sondern nur Oropax mitbringen.“

Ansonsten wäre das olympische Vorgeklimpere der neugeschaffenen Eventhöllen der Stadt (Holsten City Man, Hamburg Freezers, HSV Handball) nicht zu ertragen. Oder wer kann schon die Umwandlung einer normalen Straße in die „längste Rennbahn der Welt“ ertragen, wie ein Werbeplakat für Olympia 2012 in Hamburg suggeriert? Aber die Hamburger lieben den Sport eben. Wie sonst lässt sich erklären, dass mit 490.927 Aktiven im Hamburger Sportbund soviele bewegungsfreudige wie noch nie registriert sind?

Vielleicht werden die Politiker der Stadt dadurch nicht in ihrer Euphorie gebremst, alles dafür zu tun, dass der Schein einer Sportstadt über Hamburg liegt. Neue Leichtathletikhalle, neues Hockeystadion. Bald wird vielleicht nicht nur vor dem Rathaus Beachvolleyball gespielt, sondern im Rathaus Tischtennis. Koste es, was es wolle. Denn mit Olympia käme auch der nötige Investitionsschub. Seine politischen Planungen darauf zu beschränken ist aber wenigstens fahrlässig. So wollen zwar alle die dritte Sportstunde, aber es bleibt die Frage: Wo, wie, wann und mit wem soll sie stattfinden? Das vom Senat verordnete „Hauruck-Verfahren“ ohne „ausreichend Personal und Sportstätten“ treibe Blüten, moniert GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch. Stadtteilspaziergänge etwa laufen nun als Sport.

Derweil berichten Lehrer von „wilden Umschichtungen“, denen manche Tutoren-Einheit zum Opfer fällt. Doch stoßen mehr Wahlmöglichkeiten und ein flexibleres Angebot in den Nachmittag hinein auch auf positive Resonanz bei Schülern in den höheren Jahrgängen. Hendrik Lange, Sprecher von Bildungs- und Sportsenator Rudolf Lange, räumt „kleine Probleme bei der Umsetzung“ ein; man sei aber „positiv überrascht von der Kreativität der Schulen“. Dort soll der Vorstoß sogar „das Bewusstsein erweitern, (...) um den Sportbegriff weiter zu fassen“. Ausflüge in Free Climbing-Center sind neuerdings ebenso denkbar wie eine Partie Schach als denksportliche Betätigung.

Das Bewusstsein einiger Bezirkspolitiker hat die Einführung der dritten Sportstunde immerhin schon in Wallungen versetzt. So fiel die Schill-Fraktion in Hamburg-Nord mit dem Antrag auf, der Herr Senator möge im Winterhalbjahr doch das Treppenhaus und die sanitären Einrichtungen seiner Behörde für den Sport öffnen. Man wisse nicht, „ob das in der Form praktizierbar“ sei, sagt dazu Hendrik Lange. Wenngleich „nicht jeder Sportunterricht in der Halle am Barren stattfinden muss“. Das wäre in der Tat furchtbar. Wie wär‘s stattdessen mit einem schönen Steigerungslauf in den zwölften Stock? Oder mit Klimmzügen auf dem Damenklo? Um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, könnte zudem das Behördenpersonal als Hindernis flexibel eingebaut werden.

Spätestens hier helfen dann auch keine Oropax mehr. Die schützen nur gegen den unerträglichen Lärm, den diese Stadt für die Bewerbung um Olympia für nötig erachtet. Vor bizarren Ideen schützen sie hingegen nicht.