Trauriger Evangelist

Viel Musik, eine Diashow und vielleicht ein Film über die Ursprungslegende des Country: Gedenkveranstaltung zum 50. Todestag von Hank Williams sr.

von MATTHIAS SEEBERG

In einem Groschenroman nicht erwähnenswerten Titels erinnert sich der Protagonist an einen Tag seiner Kindheit in Tennessee, als ihn sein Vater vor dem Morgengrauen weckte und mit ihm zu einem 50 Meilen entfernt stattfindenden Konzert von Hank Williams sr. fuhr. Als sie nach mühsamer Fahrt ankommen, erblickt der Junge auf einer winzigen Bühne den ausgemergelten, mehr vom Tod als vom Leben gezeichneten Country-Sänger. Inmitten der vor Erstaunen gebannten Zuhörer erklärt ihm der Vater, Hank Williams verkörpere die Sünden der gesamtem Südstaaten und seine Lieder über Einsamkeit, Tod und Gott seien ein spezielles Evangelium der Hillbillys.

Diese mythische Verklärung vom Williams‘ durch religiöse Rechtschaffenheit, chronische Krankheiten, unglückliche Ehen und Alkoholexzesse geprägtem Lebens besteht bis heute fort. Die mysteriösen Umstände seines Todes am frühen Morgen des Neujahrstages 1953 haben dann endgültig dafür gesorgt, dass Hank Williams mit gerade mal 29 Jahren, lange bevor der Rock‘n‘Roll-Tod salonfähig wurde, zur Ursprungslegende der Country Music avancierte. Kein Wunder also, wenn sich bald die Gedenkveranstaltungen häufen, denn ein Mythos lebt von seinen Ritualen.

Sohn Hank Williams jr. und Enkel Hank III geben zum 50. Todestag ihres leiblichen Übervaters ein gemeinsames Konzert in der Grand Ole Opry in Nashville, das Hamburger Pendant findet heute Abend im Rahmen der 20. Oklahoma Ranch statt. Nachdem der eigentliche Schauplatz, das Fundbureau, in Folge eines Schwelbrandes leider nicht zur Verfügung steht, zog man schräg über die Kreuzung, um im soeben eröffneten Waagenbau an der Max-Brauer-Allee unterzukommen.

Neben in Sachen Country Music hinlänglich bekannten Hamburger Musikern wie Cow, Die Igels (a.k.a. Fink) und Jimmy Hotspoon (Veranda Music) werden unter anderem Dirk Darmstaedter, DM Bob, Halma, Acadian Post und The Oklahoma Ranch Allstars dem Gottvater des weißen Blues mit einer jeweils eigenen Interpretation seiner Songs huldigen. Zu einer vorbereiten Diashow und einer geplanten Filmvorführung von Wolfgang Bülds Doku I‘ll Never Get Out Of This World Alive werden die DJs Michael Hess und Rüdiger Ladwig mit der entsprechenden musikalischen Untermalung aufwarten.

In Anbetracht dieses schon allein wegen der teilnehmenden Musiker verheißungsvollen Programms ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Abend unter dem Motto „He‘ll never get out of this world alive“ kaum um ein bemühtes Wiederaufleben eines Mythos handeln wird, sondern vielmehr um eine respektvolle Verbeugung vor dem melancholischen Oeuvre des traurigen Evangelisten mit der kauzigen Stimme.

Mittlerweile als country classics zu bezeichnende Stücke wie „I‘m So Lonesome I Could Cry“, „Cold, Cold Heart“, „Alone And Forsaken“ oder „Angel Of Death“ werden sicherlich zum Repertoire des Abends gehören. Unzählige Male gecovert, von Elvis über The Residents bis zu Cassandra Wilson, literarisch verewigt von Kinky Friedman, Don de Grazia und vielen anderen, verwundert es, dass einige dieser Songs nicht schon für den Soundtrack einer entsprechend geglätteten Hollywood-Hommage an Hank Williams sr. missbraucht wurden.

Aber das Jahr 2003 hat ja auch gerade erst begonnen, und man kann sich wohl darauf gefasst machen, demnächst an jeder Ecke mit Tribut-Alben, neuesten biografischen Details und unzähligen Gedenkartikeln befrachtet zu werden. Zum Glück noch als erfreulicher Auftakt des kulturindustriellen Rummels verstehen lässt sich die jetzt als Hörbuch-CD veröffentlichte Hank Williams-Biographie von Colin Escott, Hank Williams Sr. – das Leben einer Country-Legende als deren Begleitveranstaltung das heutige Event an der Sternbrücke firmiert.

heute, 21 Uhr, Waagenbau (Max-Brauer-Allee 204, links neben der Astra-Stube)