Mit Tunnelblick auf Stahl-Schicht

Das neue Jahr beginnt für die Bremer Stahlwerke erneut mit einem Kraftakt: In den kommenden vier Jahren soll die Belegschaft von 4.800 Malochern auf 3.100 sinken. Kündigungen soll es keine geben. Die Stimmung ist in der Hütte auf dem Nullpunkt

„Arcelor ist gut für uns – ohne den Konzern wäre die Hütte viel zu klein“

Heute beginnt für Daniel Frois sein letztes Jahr in Arbeit. Noch ist der 57-Jährige bei der Werksfeuerwehr der Stahlwerke, am 1. Januar 2004 wird er in die „Ruhephase“ der Altersteilzeit eintreten: die letzte Schicht nach fast 30 Jahren im Job. „Ich war so stolz auf Deutschland, als ich Anfang der 70er Jahre hier ankam“, sagt der gebürtige Franzose. Jetzt sei das Land „kaputt“. Frois: „Mit meinem Bruttolohn kann ich protzen, aber netto bleibt nichts übrig.“

Schon denkt der Stahlmann trotz Haus in Oslebshausen daran, als Rentner zurück über den Rhein nach Frankreich zu gehen: „Ich werde dann nicht reicher sein, aber vor dem Tod gibt es schließlich auch noch ein Leben.“

Wie Frois wollen die Stahlkocher in den kommenden vier Jahren 730 Malocher in die Frührente schicken: Das ist nur eine der Maßnahmen, mit der einer der größten Arbeitgeber Bremens vor dem Aus gerettet werden soll. Im vergangenen Jahr ging es für die Hütte ums Überleben – wie schon so oft.

Verunsicherung und ein wenig zu viel Bitterkeit – das war 2002 in den Stahlwerken. „Viele gehen derzeit mit Tunnelblick auf Schicht“, sagt Betriebsrat Gerd Janetzek. Vor allem die „Mittelalten“ zwischen 35 und 50 schieben Frust. Janetzek: „Sie glauben, sie könnten nichts mehr bewegen.“

Der Betriebsrat ist schon 53 – und ziemlich stolz darauf, dass er gestaltet hat: Immerhin haben Janetzek und seine Kollegen mit dem Vorstand ein Konzept erarbeitet, mit dem 1.700 der 4.800 Jobs abgebaut werden – wahrscheinlich ohne eine einzige Kündigung.

Vor zehn Jahren gab es noch 6.300 Arbeitsplätze bei den Stahlkochern. Doch selbst der Franzose Frois hat ein Einsehen mit der Globalisierung: „Arcelor ist gut für uns – ohne den Konzern wäre die Hütte viel zu klein.“

Erst Klöckner, dann Arbed, heute ist der weltgrößte Stahlkonzern Arcelor Herr der Stahlwerke. Viele Krisen haben sie durchgemacht: 1999 gab es Kurzarbeit – wegen der Asienkrise. 1994 wurde die Hütte nur durch staatliche Hilfen und den Verkauf der Mehrheitsanteile an den Luxemburger Stahl-Konzern Sidmar/Arbed gerettet.

Diesmal wird es keine Subventionen geben – trotz Konjunkturflaute. Und natürlich baut auch Arcelor nur ab, um die „akute Standortgefährdung“ abzuwenden. Um 60 Millionen Euro sollen die Kosten beim Personal sinken, um 70 Millionen bei den Sachmitteln. Eigentlich hatten Betriebsrat und IG Metall den Personalanteil sinken lassen wollen – aber daraus wurde nichts.

Trotzdem: Das so genannte „Fit“-Programm sei „Spitze“, sagt Betriebsrat Janetzek, weil „es uns so viele Möglichkeiten gibt, den Abbau sozial zu organisieren.“ Es gibt Menschen, die werden erst recht optimistisch sein, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen.

Aber: Er hat auch Positives zu vermelden. 260 Azubis werden wie bislang ausgebildet. Und: Kurz vor knapp verhinderten die Betriebsräte, dass doch 250 Leute in den Kalt- und Warmwalzwerken gefeuert werden mussten, um den Kapazitätsabbau abzufedern. Jetzt arbeitet das gesamte Werk 1,4 Stunden pro Woche weniger: nur noch 33,6 Stunden Maloche. Bei Janetzek sind das 50 Euro oder vier Prozent minus auf dem Lohnzettel.

Mit etwas weniger müssen auch die Vorruheständler auskommen. Alle Jahrgänge zwischen 1940 und 1948 sind dran. Den Rentenabschlag gleicht das Werk mit Ausgleichszahlungen beinahe aus.

Aber: Wer will, kann auch sofort aussteigen – per Abfindung. Je nach Betriebszugehörigkeit gibt es bis zu 18 Monatseinkommen, satte 51.300 Euro. Bis zu 300 Aussteiger dürfte es geben, schätzt der Betriebsrat. Janetzek: „Einige eröffnen einen Gemüseladen, andere eine Pension in der Türkei. Ich kenn einen, der hat einen Partyservice aufgemacht.“

Und die restlichen 700, die gehen müssen, um das Überleben der verbleibenden gut 3.000 Stahlwerker zu sichern? Es gibt die Möglichkeit, sich über eine Transfergesellschaft umschulen zu lassen oder sich weiterzuqualifizieren. Außerdem wird das Werk ausgelagerte Arbeit wieder in die Hütte zurückholen. Derzeit durchforsten Unternehmensberater von McKinsey das Gelände. Auch die Stahlwerker selbst haben Qualitätszirkel gebildet, die nach Sparpotentialen forschen sollen.

Im vergangenen Jahr hat die Hütte gut 60 Millionen Euro Verlust gemacht, schon 2003 sollen plus/minus Null erreicht werden. Und wenn nicht? Alles natürlich eine Frage der Konjunktur. Und des Hoffens. Betriebsrat Janetzek verspricht: „Wir werden alles tun, damit es keine Entlassungen gibt.“ Kai Schöneberg