off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Heute würde man die dramatische Sex-and-Crime-Story zu einer Familien-Soap mit 2.500 Folgen verarbeiten, im Mittelalter machten die Dichter aus der Nibelungen-Saga immerhin ein Versepos von, nun ja, ziemlich vielen Seiten (zumindest als dann im 13. Jahrhundert einmal jemand auf die Idee kam, es niederzuschreiben). Die heute bekannten Fassungen des Nibelungenliedes stammen aus dem bayerisch-österreichischen Raum; die mittelalterlichen Sänger verarbeiteten darin mehrere damals bekannte Sagen, die unabhängig voneinander entstanden waren: das Siegfried-Epos, das Burgunderlied und die Geschichte vom Hunnenkönig Etzel (=Attila), von dem immerhin historisch verbürgt ist, dass ihn der Herzinfarkt ereilte, als er mit einer germanischstämmigen Blondine namens Ildico das Nachtlager teilte. Dass die morbide Familiensaga um die Ermordung Siegfrieds und die Vergeltung seiner Witwe Kriemhild den von Rachegeschichten überaus faszinierten Fritz Lang ansprechen musste, erscheint nur allzu klar, und so inszenierte der Regisseur „Die Nibelungen“ 1924 in einem aufwändigen Zweiteiler mit wunderbaren Schauspielern und stilisierten Dekors, auf die der Architektensohn Lang besonderen Wert legte. Im ersten Teil beherrscht eine strenge Symmetrie das Bild, derweil Kriemhild und die Burgunderkönige steif durch die lichten, hohen Hallen ihrer mächtigen Burg wandeln; im Gegensatz dazu wirkt die Architektur im zweiten Teil, mit der Ankunft Kriemhilds am Hofe Etzels, erheblich gedrungener und erdhafter – denn die wieselflinken Hunnen hausen in einem Durcheinander von Erdbauten und Höhlen.

„Die Nibelungen – Siegfried“ 6.1.; „Die Nibelungen – Kriemhilds Rache“ 7.1., Arsenal 2

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Man ist immer wieder freudig überrascht, dass es so etwas überhaupt noch gibt: Da befreit ein herzallerliebster Prinz eine schnuckelige Prinzessin aus den Fängen der bösen Seekönigin, derweil seine Eltern zu Hause im neogotischen Zuckerbäckerschloss schon beim Frühstück in vollem Staatsornat mit der Krone auf dem Kopf herumsitzen und sich um seine Zukunft sorgen. Trotz des ganzen technischen Schnickschnacks, der nötig wurde, um die Unterwasserwelt der Seekönigin entstehen zu lassen, besitzt die in der Regie des Märchenfilmveteranen Vaclav Vorlicek nach Motiven von „Schwanensee“ entstandene deutsch-tschechische Produktion den simplen Charme einer Weihnachtsmärchenaufführung am Stadttheater. Ganz, ganz lieb.

„Die Seekönigin“ 2. 1.–5. 1., Regenbogenkino

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Drei Filme mit einer Menschenjagd: In „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ zeigt Fritz Lang den von Polizei und Ganoven gleichermaßen gejagten Kindermörder (Peter Lorre) am Ende als Opfer. Ein Mann, der – wie er in einem außerordentlichen Gefühlsausbruch vor dem Ganoventribunal zu Protokoll gibt – von inneren Dämonen zu seinen Taten getrieben wird, und den Lang dem Zuschauer schrittweise vertraut gemacht hat: vom schwarzen Mann im Kinderreim über den Schatten auf einem Plakat und die Stimme, als er ein Kind anspricht, bis zum Gesicht im Spiegel. Dass einem auch der Penicillin-Schieber Harry Lime wie ein Opfer vorkommt, als er sich in „Der dritte Mann“ nach einer langen Jagd durch die Wiener Kanalisation von seinem Freund Holly Martins erschießen lässt, verdankt der Halunke vor allem der Darstellung des genialen Orson Welles, der auch die größten Schurken noch mit seinem charmanten Lausbubenlächeln adelte. Auch in „Ein Mann wird gejagt“ wird ein Mann gejagt – doch die Ambivalenz, welche die Filme von Lang und Carol Reed auszeichnen, geht der Geschichte um einen vermeintlichen Delinquenten (Robert Redford), der von den bigotten Bürgern einer texanischen Kleinstadt zu Tode gebracht wird, weitgehend ab. Reichlich demagogisch und mit politischen „Botschaften“ überfrachtet geht es in dem 1966 von Arthur Penn inszenierten Drama zu; Jane Fonda spielt auch mit, gerade wurde sie 65 Jahre alt.

„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“: 3. 1., 5. 1., „Der dritte Mann“: 2. 1., 4. 1., „Ein Mann wird gejagt“ (OF): 2. 1, 3. 1., Filmkunsth. Babylon 2

LARS PENNING