2003 zwischen Sylt und Shanghai

Der Rückblick auf das Jahr, in dem nichts passieren wird. Für einen Kubrick-Film hätte das nicht gereicht, was Hamburg in den nächsten zwölf Monaten erwartet. Nur das Essen im Rathaus wird aus Solidarität mit den amerikanischen Freunden besser

von PETER AHRENS

JANUAR: Für Missstimmung sorgt der Besuch einer Delegation aus Shanghai im Rathaus bei den Hamburger Gastgebern. Der Delegationsleiter hatte zuvor angekündigt, er wolle bei seinen Gesprächen mit dem Senat auch das Thema Menschenrechte ansprechen. Um dem zu entgehen, fahren Innensenator Ronald Schill und Justizsenator Roger Kusch in den Urlaub nach Sylt. Bürgermeister Ole von Beust verbittet sich Einmischungen in seine inneren Angelegenheiten.

FEBRUAR: Bambule und kein Ende. Nachdem die Bauwagenplatzbewohner das Angebot des Senats, einen 80-Quadratmeter großen Platz auf Hahnöfersand zu beziehen, abgelehnt haben, breitet sich die Unruhe auf ganz Deutschland aus. Bild wettert: „Die Bambule-Chaoten lassen uns auch im Rheinland nicht in Ruhe.“ Bauwagenumzüge in Köln, Düsseldorf und Mainz sorgen für Mega-Staus. Als die Polizei anrückt, werfen die Demonstranten mit Bonbons.

MÄRZ: Kurz vor Schluss der Anmeldefrist bewirbt sich jetzt auch Norderfriedrichskoog um die Austragung der Olympischen Spiele 2012. Die NOK-Kommission ist bei einem Besuch „äußerst angetan von dem ausgereiften Konzept“. Erfreut zeigt sie sich auch darüber, dass die Gemeinde allen Mitgliedern des Komitees kostengünstige Angebote für Briefkastenfirmen unterbreitet.

APRIL: Schill verfrühstückt auf dem Rathausmarkt einen Sozialhilfeempfänger. Zwei Tage später ist Landesparteitag. Die Schill-Partei wird in Ronald-Schill-Partei umbenannt. Norderfriedrichskoog erhält den Zuschlag. Das NOK kündigt an, dass der Volkssport Steuerbetrug 2012 als Demonstrationssportart präsentiert werde. Eine Stellungnahme des Bürgermeisters lässt auf sich warten. Ole von Beust ist im Osterurlaub auf Sylt.

MAI: Wegen Zahlungsunfähigkeit muss der FC St. Pauli in die Kreisklasse absteigen. Dort kommt es endlich zum mit Spannung erwarteten Lokalderby mit Vorwärts/Wacker Billstedt III. Danach wartet mit der Betriebssportgruppe des Schmidt-Theaters der nächste dicke Brocken. 18.000 Zuschauer sind am Millerntor dabei.

JUNI: Justizsenator Roger Kusch feiert auf dem CSD in Norderfriedrichskoog. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz erklärt seinen Rücktritt, nachdem er in einem Interview mit den „Tagesthemen“ Mehrwertsteuern und Schiff steuern verwechselt. Scholz froh: „Jetzt kann ich mich wieder mehr um Hamburg kümmern. Die Fraktion meiner Partei in der Bürgerschaft wird trotzdem weiterhin eigenständig und selbstbewusst agieren.“

JULI: Sommerloch. Innensenator Ronald Schill lässt seinen ehemaligen Pressesprecher auf dem Gänsemarkt öffentlich auspeitschen. Zwei Tage später ist Bundesparteitag der Schill-Partei. Die Partei wird in Barnie-Superstar-Partei umbenannt. Schill kündigt an, jetzt verschärft gegen Querulanten in seiner Partei vorzugehen. Der Bürgermeister weilt währenddessen auf Sylt.

AUGUST: Das Schmidt-Theater schlägt den FC St. Pauli mit 3:1. St. Pauli-Trainer Tom Stromberg atmet durch: „Wir haben nicht zu Null verloren.“ Anschließend kündigt er an, mit Stefan Effenberg und Thomas Struntz zwei Hochkaräter für den Verein zu verpflichten. Die CDU wettert: Kopulationsfußball. Wirtschaftssenator Uldall ist dagegen begeistert, dass man mit Struntz einen Arbeitslosen wieder in den Markt integriert habe: „Ein großer Erfolg für das Hamburger Modell.“

SEPTEMBER: Ein Enkel von Bildungssenator Rudolf Lange wird dabei erwischt, wie er einen Nachbarsjungen mittags von der Gesamtschule abholt. Der FDP-Mann ist daraufhin nicht mehr tragbar und tritt ab. Nachfolger Burkhardt Müller-Sönksen kündigt als erste Maßnahme an, dass alle Hamburger Schüler künftig ausschließlich mit Laptops ausgestattet werden. Schulbücher sind, so der FDP-Mann, „technologisch komplett überholt“. Durch das Wegfallen des lästigen Umblätterns von Buchseiten werde soviel Zeit gewonnen, dass das Abitur auch in neun Jahren absolviert werden könne.

OKTOBER: Zur Eröffnung der meganeuen Super-Aquarium-Museum-Musikhallen-Tankstellen-Event-Arena schwimmt Kultursenatorin Dana Horáková einmal quer durch den Hafen. Sie wird dabei jedoch unglücklich von einem fliegenden Fleischpflanzerl getroffen. Horáková wird zwar von Ex-Schulsenator Lange gerettet, der sich als Barkassenfahrer in der Speicherstadt ein bisschen was zu seiner Admiralspension dazuverdient. Sie erklärt dennoch sofort ihren Rücktritt und beschränkt sich darauf, im Aquariums-Superdome ab und an als Esther Williams der Hansestadt aufzutreten. Ein neuer kultureller Mittelpunkt der Stadt ist geboren.

NOVEMBER: Bürgermeister Ole von Beust urlaubt auf Sylt. Die Amtsgeschäfte werden in dieser Zeit vom chinesischen Honorarkonsul geführt.

DEZEMBER: Kurz vor den anstehenden Haushaltsberatungen gibt Finanzsenator Wolfang Peiner bekannt, dass die Stadt den Sitzungssaal des Rathauses gemeinsam mit dem Landesbetrieb Krankenhäuser an eine bekannte amerikanische Fastfoodkette verkauft hat. Diese Maßnahme sei unerlässlich gewesen, um die Löcher im Etat zu stopfen. Im Rathaus wird eine McDonalds-Systemgastronomie eröffnet. „Viel besser als das Essen im Ratsweinkeller“, jubelt die GAL-Fraktion. Zu Beginn der Sitzungen verteilt Innenstaatsrat Walter Wellinghausen ChickenMcNuggets an alle Abgeordneten. „Dies soll ein Zeichen der Solidarität der Hansestadt mit dem amerikanischen Volk sein“, betont Wellinghausen, der soeben von einem Informationsbesuch aus dem US-Bundesstaat Bagdad zurückgekehrt ist.