Die Reinheit der Vernichtung

Clanchef beim Zahnarzt reicht schon: Takashi Miikes Remake des Yakuza-Klassikers „Graveyard of Honor“ ist noch eine Spur verkommener, perverser und unerbittlicher als das Original von Kinji Fukasaku. Bei ihm steckt die Hölle überall und in jedem

von ANDREAS BUSCHE

„Der Pate ging zum Zahnarzt. In den zwei Stunden, in denen er fort war, wurde ein Yakuza in die Hölle geschickt.“ Mit diesen Worten beginnt Takashi Miikes Film „Graveyard of Honor“. Der Witz hinter diesen beiden Sätzen erzeugt keine Lacher. Dafür eine Blutspur, wie sie selbst im japanischen Kino selten zu sehen ist. Ein Lachen überkommt den toten Yakuza erst am Ende seines Lebens, wenn die Schlachtfelder der Yakuza von den Leichenbergen gereinigt sind: „Was für ein Witz. Dreißig Jahre Hölle auf Erden.“ Die Hölle endet in einem Blutschwall, der aus dem aufgeplatzten Körper herausschießt. Miikes „Helden“ bekommen stets einen besonderen Abgang.

Die Hölle, das sind immer die anderen. Im Falle von Takashi Miike heißt das, dass die Hölle in seinen Filmen allgegenwärtig ist; sie ist überall und steckt in jedem. Jeder führt sozusagen seine eigene kleine Hölle mit sich. Miikes Killer können dieser Hölle nicht mehr entrinnen, sie können auf sie nur noch mit Sprachlosigkeit und ihren stoischen Kurzschlusshandlungen reagieren. Nach Miikes bizarren Comic-Eskapaden mit „Fudoh – The Next Generation“, „Dead or Alive“ oder dem außerhalb von Japan nur auf Festivals gezeigten „Ichi the Killer“ ist diese Yakuza-Hölle in „Graveyard of Honor“ jetzt zur Farce geworden. Ein Witz eben. Dafür hat er auf eine alte Yakuza-Geschichte zurückgegriffen, die ein anderer japanischer Meister der Extreme schon 1975 erzählt hat: Kinji Fukasaku.

Es ist nicht zu übersehen, was Miike an ihm so fasziniert; Fukasaku-Themen tauchen, grotesk hochgepitcht, in fast jedem seiner Filme auf: der Nihilismus in Fukasakus Yakuza-Filmen wie „Battles Without Honor and Humanity“ (1973), exzessiver Fun-Splatter (sein „Lord-of-the-Flies-meets-Littleton“-Mediendarwinismus-Kultfilm „Battle Royal“) und unterschwellig immer auch Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen (z. B. im Post-2WW-Drama „Under the Flag of the Rising Sun“ von 1972). Wer sich bisher gewundert hat, welcher Schule Miikes pathologisch surreale Gewaltfantasien wohl entsprungen sind, wird bei Fukasaku fündig.

Miikes Remake des Yakuza-Klassiker „Graveyard of Honor“ ist aber noch eine Spur verkommener, perverser und unerbittlicher als das Original, und nicht nur weil der (Selbst-)Vernichtungsfeldzug Ishimatsus bei Miike über eine halbe Stunde länger dauert. Das Höllenhafte dieser peinigenden Odyssee ist dem Kodex der Yakuza-Welt inhärent. Ein lächerliches Missverständnis reicht, um sie losbrechen zu lassen. Danach ist jeder weitere Schritt wie im Shakespear’schen Drama unabwendbar. Der Yakuza-Kodex besagt, dass es eine Frage der Ehre ist, die Konsequenzen seines Handelns bis zum bitteren Ende zu tragen. Und darum reicht es, dass am Anfang ein Clanchef zum Zahnarzt geht, damit am Ende ein Yakuza in der Hölle schmort. Vorher hat der allerdings noch die halbe Tokioter Unterwelt mitgenommen. Während Fukasakus Ablehnung gegenüber der japanischen Yakuza-Gesellschaft sich aber noch in seinen naturalistischen 70er-Jahre-Bildern ausdrückte, die wie eine Reminiszenz an den „sauberen“ italo-amerikanischen Gangsterfilm wirkten, durch die ein außer Kontrolle geratener Ishimatsu wie ein Mähdrescher pflügt, geht Miike mit seiner stilisierten MTV-Noir-Ästhetik komplett auf Distanz.

Man wünscht sich von ihm vielleicht endlich einmal einen persönlichen Film, wie ihn selbst Fukasaku in den 70ern u. a. mit „Under the Flag of the Rising Sun“ gedreht hat, aber der Effekt verfehlt seine Wirkung nicht. Während Ishimatsu bei Fukasaku noch als Ausdruck seiner Devianz die Knochen seiner kremierten Frau vor den Augen der Clanchefs verzehrte, ist seine Odyssee in Miikes Version von jeder persönlichen Geste außer der des reinen Vernichtens bereinigt. Fassungslos wird man Zeuge eines unaufhaltsamen Selbstzerstörungsspektakels. Ishimatsu tötet einen „Onkel“. Ishimatsu tötet seinen Paten. Bringt seine Frau auf Heroin. Ishimatsu, sagt der Off-Erzähler, war schon lange tot, sein Körper hatte es nur nicht wahrhaben wollen.

Ein Wort hätte genügt, aber der Kodex besagt, dass man den eingeschlagenen Weg bis zum Ende gehen soll. In der Yakuza-Gesellschaft gibt es keine falschen Entscheidungen.

„Graveyard of Honor“. Regie: Takashi Miike. Mit Goro Ikishitani, Narimi Arimori u. a.. Japan 2002, 131 Minuten. Termine siehe Programm