Sehnsüchtiger Budenzauber

Das US-Fernsehen erfindet sich die Jugend von Superman neu. Was von Kritikern als republikanisches Jugend-TV zur Propagierung alter Werte gegeißelt wurde, entpuppt sich als schillerndes Teenagerbiotop („Smallville“, 20.15 Uhr, RTL)

Das wirklich Böse dieser Welt sind die Gewinnertypen aus dem Footballteam

von CHRISTIAN BUSS

Wer einmal einen Highschoolfilm gesehen hat, weiß: Beim Abschlussball am Ende gibt es nichts zu lachen. Sämtliche Grausamkeiten, denen ein Halbwüchsiger in der amerikanischen Provinz ausgesetzt sein kann, kulminieren an diesem Abend, an dem die Gewinner gefeiert und die Verlierer noch einmal abgebürstet werden. Und während die Promqueen ihre Krone aufsetzt, erwachen in mancher gebeutelten Teenager-Seele Rächerinstinkte. Clark Kent soll auf diese Weise zu Superman geworden sein.

Das jedenfalls behauptet „Smallville“, wo der Heldenmythos als Entwicklungsroman aufgerollt wird: Der schüchterne Clark bandelt in der Pilotfolge unvorsichtigerweise mit der Freundin des örtlichen Footballstars an und wird dafür ans Kreuz gehängt – im Wortsinne. Denn es ist ein ganz gewöhnliches Abschlussritual, dass die Sport-Grobiane unliebsame Aussenseiter in einem der Maisfelder vor der Stadt ans Holzkruzifix binden. Auf die Brust sprühen sie ein großes S. Wie in „scarecrow“, Vogelscheuche. Das rote Initial auf der Superheldenbrust ist also ein Stigma. Und die Adoleszenz ein Martyrium.

So ergeht es Superman, der bislang ja immer als Spießer unter den Comicüberhelden galt, nicht anders als dem jungen Kollegen in der Kinoversion von „Spider Man“. „Smallville“, die Serie, und „Spider Man“, der Film, wurden denn auch ungefähr zeitgleich entwickelt. In beiden Produktionen manifestiert sich das Anderssein der traurigen Teenagerhelden in monströsen Anomalien. Doch während der heranwachsende Spinnenknabe im Kinoepos seine befremdlichen Fähigkeiten in einer Szene entdeckt, die frappierend an erste autoerotische Exkurse erinnert (die Erziehungsberechtigte klopft aufgebracht an die Kinderzimmertür, während der Junge seinen Körper befummelt), findet das Thema Sexualität in „Smallville“ kaum eine direkte Aufarbeitung. Da hält sich die ansonsten frei ausfabulierte TV-Neuinterpretation an die klassische Lesart der Saga, die seit ihrem ersten Erscheinen als Comic in den Dreißigerjahren immer wieder mit messianischen Weihen ins Bild gesetzt worden ist.

Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten zwischen dem Umhangträger und dem Heiland nicht zu leugnen: Wie Jesus wird auch Superman als Flüchtling geboren (verbannt von seinem Heimatplaneten Krypton) und erblickt per unbefleckter Empfängnis das Licht der Welt. (Er fällt einfach vom Himmel).

In der Serie wird das mit sakralem Budenzauber in Szene gesetzt: Ein Meteoritenschwarm geht auf das bezaubernde Örtchen Smallville nieder, und zwischen den Gesteinsbrocken findet ein kinderloses Ehepaar einen sanft lächelnden Knirps, den es mit nach Hause nimmt.

So viel heiliges Getöse erschien vielen Kritikern verdächtig. Denn ist der jugendliche Held nicht eigentlich nur ein Strohmann der Konservativen, der dem jungen Zielpublikum im krisengeschüttelten Amerika alte Werte und Wehrhaftigkeit einimpfen soll? Die Tatsache, dass „Smallville“ in den USA einen Monat nach den Anschlägen auf das World Trade Center ins Programm genommen wurde und bald stattliche Einschaltquoten erreichte, gaben den Dünkeln noch mehr Nahrung. Die in warmen Farben fotografierte Kleinstadtsaga lief sogar James Camerons opulenter Negativ-Utopie „Dark Angel“ den Rang ab, was sich wunderbar als Zeichen für eine moralische Wende im Fernsehamerika lesen ließ. Und als dann wenig später bekannt wurde, dass man „Dark Angel“ ganz einstellen werde, fühlten sich die Pessimisten unter den Kritikern endgültig bestätigt.

Doch obwohl in „Smallville“ auch schon mal dem US-Banner salutiert wird, ist die Geschichte nicht wirklich republikanisches Jugendfernsehen. Schon weil hinter der Cornflakes-Werbeträgervisage des Hauptdarstellers Tom Welling im Verlauf der Serie ein allzu ambivalenter und schuldhafter Charakter hervortritt. Dies ist kein strahlender Held. Und seine explosive Landung in Smallville erst mal weniger ein Segen als ein Fluch für das Kaff in Kansas: Seinem Freund und Antipoden Lux Luthor wachsen seit den Meteoriteneinschlägen keine Haare mehr, und die Highschool-Beauty Lana Lang verlor bei dem Spektakel die Eltern.

Am interessantesten aber ist der simple Erzähltrick, dass es nach dem kosmischen Hagel in Smallville zu gefährlichen Umweltveränderungen gekommen sein soll, die gewaltvolle Metamorphosen bei den Halbwüchsigen des Bilderbuchstädtchens auslösen können. So wird in der Serie, die streckenweise als Mischung aus „Blue Velvet“ und „Buffy, im Bann der Dämonen“ daherkommt, ein schillernder Teenagerbiotop entworfen, für den adoleszente Sehnsüchte und Ängste ins Ungeheuerliche gesteigert werden. Das Böse lauert hier im Vorgarten – so wie der Superman-Widersacher in der ersten regulären Folge, der den ganzen Tag die blöde Rockmusik von Papa Roach hört.

Und Clark Kent kümmert sich. Meist muss er handgreiflich werden, trotzdem agiert der Nachwuchs-Superman schon mal mit therapeutischer Milde auf die ausgerasteten und pyhsiognomisch hochgerüsteten gesellschaftlichen Randexistenzen. Dass man mal seine Eltern umbringen oder die Highschoolschönheit entführen will, sagt ja noch lange nichts über den Charakter aus. Das wirklich Böse dieser Welt, daran lässt „Smallville“ erfreulicherweise keinen Zweifel, sind die Gewinnertypen aus dem Footballteam.

(Serienstart am 11. 1., 16.50 Uhr, RTL)