Intifada killt den Wachstums-Boom

Einstiges Wirtschaftswunderland Israel liegt derzeit an letzter Stelle der Industrieländer. Trotzdem Sparhaushalt

„High-Tech kann niemals den Verlust der Tourismusindustrie kompensieren“

TEL AVIV taz ■ Die israelische Wirtschaft liegt derzeit bei den Industriestaaten ganz hinten: Wie die Tageszeitung Ha’aretz am Mittwoch berichtete, erwarten Experten, dass sich die seit zwei Jahren andauernde Rezession auch in den kommenden zwölf Monaten fortsetzt. Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1 Prozent habe Israel im abgelaufenen Jahr (0,9 Prozent 2001) an letzter Stelle der entwickelten Industrieländer hinter Japan (–0,7 Prozent) und der Schweiz (–0,2 Prozent) gelegen, errechnete das nationale Statistikamt. Das sind auch deshalb besonders schlechte Zahlen, weil die Bevölkerung Israels in den beiden vergangenen Jahren um mehr als 2 Prozent gewachsen ist. Pro Kopf fiel das Bruttoinlandsprodukt also um 6 Prozent in dem Zeitraum. Wenn Krieg und Tourismusflaute weitergehen, wird die Arbeitslosigkeit dieses Jahr von gut 10 weiter auf 12 Prozent steigen, so die Befürchtungen.

4 bis 6 Prozent Wirtschaftswachstum waren Ende der Neunzigerjahre Standard in Israel, das es so unter die zwanzig reichsten Länder der Welt brachte. Seit dem Wiederausbruch der Intifada hat sich der Trend umgekehrt.

„Wir sind ein kleines Land“, sagt Reuven Rivlin, Israels Minister für Kommunikation. Aber dieses kleine Land stehe an der Spitze der Teletech-Nationen. „Tourismus und Telekommunikation – mit diesen beiden Schlagworten lässt sich Israels Wirtschaft am besten charakterisieren“, so Minister Rivlin. Weil seit Beginn der zweiten Intifada vom ersten Schlagwort nichts mehr zu erwarten ist, stehen die High-Tech-Branchen besonders unter Druck: Seit Jahren importiert das rohstoffarme Land mehr, als es exportiert, die Staatsverschuldung ist dramatisch angestiegen.

„Unser Exportschlager ist technologische Intelligenz“, sagt Shraga Brosh, Vorsitzender des Israel-Export-Institutes. Statistisch gesehen sind unter 10.000 Beschäftigten in Israel 135 Ingenieure – fast doppelt so viele wie in den USA, die in dieser Statistik immerhin auf Platz zwei stehen. Mittlerweile kommen über 50 Prozent der Exporteinnahmen aus den Bereichen Telekom und High-Tech. „Hauptimporteure sind mit 38 Prozent Russland, gefolgt von China und Japan. Und wir haben auf diesen Märkten beträchtliche Wachstumsraten“, so Brosh.

Allerdings ist der Wirtschaftsmotor zwei Jahre nach Wiederausbruch der Gewalt gehörig ins Stottern geraten. Von den über 2.000 Start-up-Unternehmen, die es noch im letzten Jahr gab, sind nur noch die Hälfte übrig. Allein seit Sommer verloren über 3.000 IT-Spezialisten ihren Job. „Was wir in Israel erleben, ist dem weltweit schwachen Trend in der Branche geschuldet“, sagt Eitan Mosden, Marketingchef von Nortel Networks Israel, über dessen Telefonnetz vier Fünftel aller Gespräche laufen. Es ist tabu, in der Branche offen über die Schäden zu sprechen, die der Konflikt bringt. Dabei sind die bereits deutlich spürbar: Ausländische Geldgeber sind verschreckt, der Strom des Risikokapitals zum Rinnsal versiegt. Firmen wandern ins Ausland ab. Der Erlös der High-Tech-Exporte sank nach vorsichtigen Schätzungen im vergangenen Jahr um 15 Prozent auf etwa 11 Milliarden Euro. Israels Verschuldung steigt derzeit dramatisch.

Die Regierung versucht dem durch einen geringeren Haushalt zu begegnen. Für das kommende Jahr – die erste Lesung hatte Anfang November zum Bruch der Regierung geführt – sind 270 Milliarden Schekel (knapp 60 Milliarden Euro) angesetzt. Knapp 19 Prozent davon gehen nach offiziellen Zahlen in die Armee – der höchste Anteil seit Jahren. Zum Beginn der zweiten Intifada waren gerade mal 10 Prozent des insgesamt höheren Budgets fürs Millitär eingestellt. Allerdings schätzen Experten den wahren Anteil auf etwa 30 Prozent; vieles davon ist in anderen Etatposten versteckt.

Sozialminister Schlomo Benisri von der Schas-Partei stellte im Herbst seinen Sozialreport vor: Demnach lebt jeder Fünfte unter der Armutsgrenze, die mit 300 Euro pro Monat angegeben ist. Die Zahl der Familien, die in Armut leben, gab Benizri mit 33,8 Prozent an. Dringend appellierte er an seine Amtskollegen, die Einschnitte ins soziale Netz vor der zweiten Lesung des Haushaltsgesetzes zurückzunehmen. Die Erfolgsaussichen solcher Appelle sind gleich null: Nach einer repräsentativen Umfrage der Tageszeitung Jediot Achronot ist Ariel Scharon beim Wahlvolk so beliebt wie lange nicht mehr.

In Wirtschaftskreisen sorgen die Förderprogramme von Kommunikationsminister Rivlin fürZustimmung zum Likudblock: 3 Prozent des gesamten Staatshaushaltes werden in die Unterstützung der Start-up-Firmen gepumpt. Dem Prinzip nach zahlen die Firmen dann, wenn die Technologie marktreif ist, dem Staat die Förderung zurück. Rivlin hofft so, den Wirtschaftsmotor Teletech wieder zu Spitzenleistungen animieren zu können. Marktbeobachter, wie der Belgier Jan Hybrechts, loben dieses Fördersystem, warnen jedoch auch: „Momentan realisiert der Markt neue Technologien gar nicht, weil es an Nachfrage fehlt.“

Der Taxifahrer Daniel kann da nur zustimmen: „High-Tech kann niemals den Verlust der Tourismusindustrie kompensieren.“ Der Mittfünziger findet keine Arbeit mehr in seinem eigentlichen Beruf als Fremdenführer. Und die Krise seit dem Wiederausbruch der Gewalt treffe eben beide Konfliktparteien. „Die Palästinenser haben in Bethlehem tolle Hotels und ein Busparkhaus gebaut. Früher haben da täglich dutzende Busse zu je 60 Dollar geparkt.“

NICK REIMER