fundgrube
: Stadtraum für Kunden, Klienten und Käufer

Boulevard Ecke Dschungel

Diskussionen über Stadt werden meistens verdinglicht. Ob das Wiener Museumsquartier, ob der Potsdamer Platz, stets krallen sich Pro und Contra an den Oberflächen fest. Die Betrachtungen in „Boulevard Ecke Dschungel“ lassen sich hingegen nicht räumlich festlegen. Vielmehr setzen die Beiträge an den Auswirkungen der nicht greifbaren Strukturen an.

Der Anschlag des 11. Septembers hat das Vertrauen in den gemeinsamen Lebensraum Stadt erschüttert. Mit dem WTC wurde ein Ort zum Feindbild in einem Konflikt, der sich selbst nicht mehr lokalisieren lässt. Dadurch, so der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme, werde vor allem der „Raum pluralkultureller Urbanität zerstört“.

Um der Statistenrolle des Stadtbürgers etwas entgegenzusetzen, fehlt der auf den öffentlichen Raum fixierten Stadtphänomenologie nach Meinung des Soziologen Werner Sewing „deutlich ein politischer und gesellschaftlicher Begriff von Stadt“. Ihm zufolge findet öffentliches Leben ungebrochen in einem halb privaten Entscheidungsbereich statt, während der traditionelle Stadtraum nur Kulisse ist.

In Bezug auf die Ökonomisierung des Raumes stellt denn auch Sewings Kollege Sighard Neckel fest: „Wo es keine Unterschiedlichkeit von Nutzungen gibt, gibt es in der Regel auch keine Diversität im ästhetischen Anspruch.“ Ohnehin erstaunt, mit welcher Beiläufigkeit die Bereitstellung von attraktivem Stadtraum ausschließlich für Kunden, Klienten und Käufer hingenommen wird. Mehr noch, die privaten Sicherheitsdienste sorgen allerorten für einen Umgang, den der Soziologe Loïc Wacquant hier die „Kriminalisierung der Armut“ nennt. Damit scheint das Antlitz der längst vergangen geglaubten bürgerlichen Stadt fortzubestehen, in der ein großer Teil der Einwohner, entgegen aller Romantik von Integration, keine politische Teilhabe hatte.

E. Blum/P. Neitzke (Hg.): „Boulevard Ecke Dschungel“. Edition Nautilus, Hamburg 2002, 19,50 €