Prüm grüßt Hamburg

Immer wieder ungern gelesen: Wenn der Leser schreibt. Ein Brief an Gerhard Henschel

Meine Mutter müsste ich mitbringen, da sie mit ihren 84 Jahren nicht mehr gehfähig ist

Sehr geehrter Herr Henschel,

mit großem Interesse habe ich in der taz Ihren Essay über die Fehlentwicklungen der Europapolitik gelesen und auch die Bücher, die Sie diesem Thema gewidmet haben. Sie schneiden darin, wie ich finde, ein „heißes Eisen“ an. Langer Rede kurzer Sinn: Es würde mich freuen, wenn Sie einmal die Zeit fänden, sich mit den Aufsätzen zu befassen, die ich Ihnen hier beilege. Es handelt sich um ein „Konzentrat“ meiner Gedankenarbeit aus elf Jahren geistiger Auseinandersetzung mit den politischen Kernbereichen „Europa“ und „Europa in der Welt“.

Als bewusst lebender Europäer suche ich fortlaufend Gleichgesinnte und habe mir auch schon weit hinaus über meine Heimatstadt Prüm ein Netzwerk von Korrespondenten aufgebaut. Telefonisch und schriftlich stehe ich mit Induvidien aus Remagen, München, Erfurt, Soest, Budapest, Stockholm, Lüttich und Prüm in Verbindung. Gemeinsam ist uns das Interesse an allen Fragen der europäischen Vertragspartnerschaft.

Zu meiner Person: Ich bin 48 Jahre alt, Wechselwähler und Vater von drei Kindern, die z. Zt. 14, 11 und 7 Jahre alt sind. Da meine Frau sich vor drei Jahren von mir getrennt hat und ihr das Sorgerecht zugesprochen worden ist, lebe ich jetzt wieder mit meiner Mutter zusammen. Als Hobbies würde ich Gebirgswandern und klassische Musik angeben, aber auch Soul sowie als besondere Leidenschaft Gebirgswandern. Beruflich gehe ich als Chemiker in einer mittelständischen Futtermittelfirma einer sitzenden Tätigkeit nach, so dass ich mich immer freue, wenn ich bei den Wanderungen durchs Gebirge Gottes schöne Natur erleben darf. Bei solchen Gelegenheiten gebe ich auch gerne meinem „Pegasus“ die Sporen und versuche mich als Dichter, wobei ich versuche, meine persönlichen Gefühle als Individium in Einklang mit meiner politischen Botschaft zu bringen, hinter der ich stehe.

Da meine Mutter an einer Schilddrüsenkrankheit leidet, bin ich leider zunehmend ans Haus gefesselt. Für einen Pflegedienst fehlt mir das Geld, das ich als kleiner Angestellter um so weniger habe, je mehr sich die Politiker in Brüssel davon in die eigene Tasche stecken. Wenn da die Subventionsmilliarden in dunklen Kanälen verschwinden, ist etwas faul in den „Vereinigten Staaten von Europa“, das wissen Sie so gut wie ich.

Kurzum, ich würde es begrüßen, wenn Sie, verehrter Herr Hentschel, bei Ihrem Verleger ein „gutes Wort“ für mich und meine (allgemeinnützigen) Zwecke einlegen könnten, am besten bei Herrn Gerd Habermas persönlich, denn ich möchte meine Gedanken in Buchform publizieren. Das würde einigen Staub aufwirbeln in den Etagen der Brüsseler Ministerialbürokratie und auch andernorts, zumal ich Ross und Reiter nennen werde, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verfilzungen in Prüm und die Fußangeln, die mir die hiesige Lokalmafia ausgelegt hat, bis hinauf zum privaten Rufmord und zur schleppenden Bedienung meiner Mutter in der Löwenapotheke, so dass des öfteren lebenswichtige Medikamente nur beschädigt herausgegeben werden und und und.

Am besten wäre es, wenn wir uns direkt bei Ihnen in Hamburg in Ihrer Wohnung treffen könnten. Meine Mutter müsste ich mitbringen, da sie mit ihren 84 Jahren nicht mehr gehfähig ist und abends ihre Pillen einnehmen muss. Frage: Wie breit ist Ihr Treppenhaus? Meine Mutter kann nur liegend transportiert werden und benötigt aufgrund ihrer Körperlänge von 2,14 m ein Treppenhaus von mindestens 1,5 x 2,4 x 0,9 Kubikmetern als Durchgangsgehäuse, wobei der Neigungswinkel der Treppe im Verhältnis zur Stufenzahl vier Gefällegrad nicht unterschreiten darf (ärztliches Attest liegt bei).

Alles in allem rechne ich mit drei, maximal sechs Übernachtungen, bis alles besprochen ist. Zufrieden wären meine Mutter und ich mit leichter Verpflegung wie z. B. Joghurt, Buttermilch, Obst, Geflügel, Gulasch oder Schweinebraten mit Diät-Fanta und als Nachtisch am liebsten Fruchtquark oder Eis am Stiel. Falls Sie nikotinabhängig sind, wäre es freundlich von Ihnen, schon jetzt zum Rauchen auf den Balkon oder auf die Straße zu gehen. Ich bin Asthmatiker. Von mir aus können Sie rauchen, soviel Sie wollen, nur bitte eben nicht in meiner Nähe. Wenn Sie wollen, erstelle ich Ihnen für 45 Euro zzgl. Mehrwertsteuer einen indivudiellen Nichtraucher-Fahrplan in elf Schritten. Voraussetzung dafür ist, dass Sie ernsthaft aufhören wollen mit dem Rauchen, sonst hat die Sache keinen Zweck. Für Ihre Gesundheit sind Sie ganz alleine – und nur Sie selbst! – verantwortlich. Es ist witzlos, die Verantwortung für Ihre Sucht nach Genussgiften der Gesellschaft oder dem Staat aufzugebärden. Am Rande einer Wahlveranstaltung in Prüm habe ich mich darüber auch einmal mit Herrn Alt-Bundeskanzler Kohl unterhalten, und er pflichtete mir bei. Mehr Eigenverantwortung, auch das ist Europa in der Rivalität der Kontinente!

Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein „offenes Wort“. Mit Ihrer eigenen „Schreibe“, sehr geehrter Herr Henscheid, kann ich nicht viel anfangen. Wenn das „Humor“ sein soll, dann ist dieser Humor mir fremd, und nicht nur mir. Auch meine Mutter und viele unserer Bekannten teilen meine Meinung. Für wen schreiben Sie eigentlich? Doch wohl nicht für das „blöde Volk“, auf dessen Steuerzahlungen Sie angewiesen sind? Nein, mir scheint, sie schreiben für die „High Snobiety“ der Absahner und Abstauber, die immer schon gewusst haben, wo der „Bartel den Most“ holt, um es einmal salopp zu sagen. Cash as cash can, das alte Lied! In meinen Augen ist das halbseidene Insider-Literatur für Insider. Aber wollen Sie das wirklich – ein Europa der Schlippi-Schlappi-Literaten?

Nun, darüber können wir uns am übernächsten Wochenende noch in Ruhe unterhalten, wenn meine Mutter und ich bei Ihnen Quartier genommen haben.

Hochachtungsvoll,

Ihr Hanspeter Kriebelherr,

Prüm, 1. 1. 2003