Drinnen vor dem Radio

Japanische Schlaflosigkeit und sentimentale Killer: Das neue Hörspielprogramm des NDR

Als Orson Welles 1938 sein Hörspiel über eine Invasion New Yorks durch Marsbewohner sendete, liefen Radiohörer im ganzen Land vor Angst schreiend auf die Straßen. Der Autor hatte die Geschichte wie einen Live-Bericht vom Ort des Geschehens konstruiert, und Tausende hielten sie für echt. Schon deshalb ist War of the Worlds ein unvergesslicher Klassiker des Hörspiels: Selten hatte eine fiktive Erzählung solch dramatische Auswirkungen.

Heute, denkt man, sei das nicht mehr möglich. Schon allein, weil niemand mehr an Marsmenschen glaubt. Aber auch, weil kaum einer mehr so recht an das Radio glaubt. Dabei haben Geschichten im Audio-Format Konjunktur wie lange nicht, man denke an den Boom von Hörspiel-CDs. Kein Wunder eigentlich, ist es doch eine oft beglückend intensive Angelegenheit, sich ins Hören zu vertiefen. Oder, wie der Komponist Murray Schafer es ausdrückte: „Das Ohr ist eine erotische Öffnung. Das Lauschen schöner Laute gleicht der Zunge eines Liebhabers, die an unserem Ohr spielt.“

So gesehen sorgt der NDR mit seinem neuen Halbjahresprogramm auch für unser körperliches Wohl. Neu ist 2003: Neben NDR Info ist NDR Kultur (in Hamburg: 99,2 MHz) ab Januar die zweite Welle mit festem Hörspiel-Sendeplatz, Radio 3 wird eingestellt.

Dreizehn Ursendungen sind im Programm, unter anderem Schlaf, eine Hommage an die Schlaflosigkeit vom Superstar der japanischen Gegenwartsliteratur, Haruki Murakami. Sogar noch in der Mache ist die Geschichte eines monströsen Prozesses der Selbstfindung von Tankred Dorst, Kupsch.

Wie immer leiten Oberthemen durch das Halbjahr, zum Beispiel wird die erfolgreiche „Generation @“ fortgeführt. Dabei ist Paul Plamper, der mit Top Hit leicht gemacht eine Gebrauchsanleitung zum eigenen Nr. 1-Hit, ein Hörspiel zum Nachmachen abgeliefert hat. Nach dem gleichnamigen Tanztheaterstück hat Falk Richter Nothing hurts umgearbeitet, eine Geschichte über die große Leere im Leben. Stark vertreten sind wie gewohnt Kriminalhörspiele, unter anderem das Tagebuch eines sentimentalen Killers von dem Chilenen Luis Sepulveda, der wie immer nicht umhinkonnte, politisch zu schreiben.

Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür repräsentiert die deutschen Klassiker in der Saison. Von Borchert heißt es, er habe die Erstausstrahlung 1947 wegen einer Stromsperre in seiner Straße nicht selber hören können. Statt dessen sei er, um nicht zu frieren, früh ins Bett gegangen. Wobei: Das ist ja unter anderen Umständen auch ein guter Ort für Hörspiel-Konsum.

Katrin Aue

Hörspielprogramme für das erste Halbjahr 2003 können für 2 Euro bestellt werden: ☎ 0180/511757 oder E-Mail an hoerspielbroschuere@ndr.de