„Schön ist das nicht“

Heidi Knake-Werner ist seit einem Jahr im rot-roten Senat für Soziales zuständig. Und hadert mit ihrem Job. Ein Gespräch über Handküsse und soziale Kontrolle, Sarrazins Humor und Gysis Abgang

Interview SABINE AM ORDE

taz: Frau Knake-Werner, Sie sind jetzt fast ein Jahr Sozial- und Gesundheitssenatorin. Wie geht es Ihnen auf der anderen Seite der Barrikade, wie Sie es mal genannt haben?

Heidi Knake Werner: Das ist sehr gewöhnungsbedürftig.

Immer noch?

Ja, immer noch. Die Zwänge sind einfach enorm: Die Rahmenbedingungen sind extrem eng, das gilt natürlich besonders für die Finanzen, die Kompetenzen sind eindeutig geordnet. Früher musste ich mir nie Gedanken darüber machen, welches die am wenigsten schlechte Lösung ist. Heute bin ich manchmal froh darüber, wenn ich überhaupt eine Alternative habe.

Hört sich nicht besonders spaßig an.

Nein, aber die Arbeit macht auch Spaß. Aber der wird getrübt, wenn man etwas anpackt und dann schnell an Grenzen stößt.

Finanzielle Grenzen?

Ja, im Wesentlichen finanzielle Grenzen. Aber auch Verfahrensgrenzen. Viele Sachen brauchen unglaublich lange, bis sie die Behörden durchlaufen haben. Und ich habe nicht gedacht, dass Veränderungen inzwischen für so viele Menschen nur noch etwas Bedrohliches haben. Ich bin für einvernehmliche Lösungen, aber ich habe sie mir einfacher vorgestellt und weniger Zeit raubend.

Neue Strukturen werden derzeit eben vor allem im Zusammenhang mit Kürzungen gesehen. Sie setzen im Augenblick vieles um, was sie als Oppositionspolitikerin kritisiert hätten.

Das war mir von Anfang an klar, obwohl es vorher natürlich leichter war. Aber ich hatte nie die Illusion, dass man in einem Bundesland die Politik der Bundesregierung korrigieren kann.

Es geht auch um Schwerpunkte auf Landesebene. Die PDS hat Wahlkampf mit sozialer Gerechtigkeit gemacht. Jetzt setzen Sie Sozialabbau um.

Das ist nicht richtig. Ich bin der Meinung, dass soziale Gerechtigkeit und Sparen kein Widerspruch sein müssen. Es gibt auch im Bereich Gesundheit und Soziales Einsparmöglichkeiten, die nicht zulasten der Kranken oder Bedürftigen gehen. Wir müssen prüfen, welche Angebote wir für die Leute vorhalten müssen, die darauf angewiesen sind. Das ist ein Stück soziale Gerechtigkeit.

Als Bundestagsabgeordnete schwebte Ihnen noch eine andere Gesellschaft vor.

Ja, aber diese Gesellschaft haben wir nicht. Ich setze mich dafür immer noch ein, aber in der Landespolitik werde ich sie wohl kaum verwirklichen.

Die soziale Situation in Berlin wird schlechter. Und Sie sind für Abbau veranwortlich.

Meine Gestaltungsmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt, aber ich kämpfe darum, das zu erhalten, was erhaltenswert und nötig ist. Und ich tröste mich mit dem Gedanken, was wäre, wenn hier jemand von der FDP säße …

Ein schwacher Trost. Wenn Sie bei Behinderten, Obdachlosen, Sozialhilfeberechtigten sparen, denken Sie manchmal: Das geht eigentlich zu weit?

Bisher noch nicht. Aber es gibt viele Leistungen, die ich nie streichen würde: das Blindengeld zum Beispiel. Aber bei vielen Hilfen muss man fragen: Was kommt bei den Hilfsbedürftigen letzlich wirklich an? Ich glaube, in manchem Bereich kann man sparen, ohne dass es direkt die Hilfsbedürftigen trifft. Und man muss den Mut haben, zum Beispiel die Projektelandschaft einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Manchmal reichen statt 15 Einrichtungen auch 8.

Dem Finanzsenator ist das noch zu viel, den Wohlfahrtsverbänden zu wenig. Wie ist es, dazwischen zu klemmen?

Schön ist das nicht. Aber ich muss auch mal sagen, dass Herr Sarrazin durchaus verlässlich ist. Wenn man mit ihm einmal etwas ausgehandelt hat, dann steht es.

Und Sie erfahren nicht mehr aus den Medien, dass doch noch mehr gekürzt werden muss?

Na, dass das gar nicht mehr passiert, will ich nicht beschwören. Aber es geht besser.

Heißt das, Sie kommen inzwischen gut mit ihm klar?

Gut ist vielleicht zu viel gesagt, dazu haben wir wohl zu unterschiedliche Aufgaben.

Man hört, der Finanzsenator sei im Miteinander schwierig.

Nein, das ist er nicht. Außerdem hat er einen ziemlich trockenen und witzigen Humor.

Wenn er nein sagt, ist es bestimmt nicht witzig.

Dann ist das natürlich erst einmal eine blöde Situation, und manchmal weiß ich auch nicht, wie es weitergehen soll. Aber ich gebe so schnell nicht auf und bin auch nicht schlecht darin, noch etwas herauszuholen oder einen Kompromiss zu finden.

Wird im Senat überhaupt politisch diskutiert und vernünftig miteinander geredet?

Wenn man bedenkt, unter welch schwierigen Bedingungen und unter welchem Zeitdruck wir entscheiden müssen, haben wir es inzwischen ganz gut geschafft, die wichtigsten politischen Fragen miteinander zu diskutieren.

Das Klima hat sich gebessert?

Ich will mich ja nicht dazu äußern, wie die Sozialdemokraten miteinander umgehen. Mit uns ist es zwar manchmal schwierig, aber es herrscht keine angespannte Diskussionskultur. Was ich viel bedenklicher finde, ist, dass ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich so wichtige politische Entscheidungen treffe, so wenig persönlich zu tun habe.

Siezen Sie sich?

Ja, wir siezen uns. Das ist schon ziemlich kurios. Aber wir haben auch sonst wenig miteinander zu tun. Was ungewöhnlich für ein Team ist, das zum gemeinsamen Erfolg verurteilt ist.

Sie haben mal gesagt, Ihre Persönlichkeit passe eigentlich nicht zu Ihrem Amt. Wo liegt das Problem?

Das Amt passt schon. Aber es hat auch Seiten, die mir noch immer fremd sind. Ständig unter öffentlicher Beobachtung, die starken Zwänge und immer Chefin zu sein, das ist für mich schon sehr gewöhnungsbedürftig. Es ist zum Beispiel ungewohnt, wenn mich jemand mit Handkuss begrüßt. Oder dass mir immer die Tür aufgehalten wird. Außerdem hatte ich in meinem Leben noch nie so wenig Zeit für mich allein – Zeit zum Nachzudenken und um Neues zu entwickeln.

Es geht auch darum, Sachen besser zu verkaufen, als sie eigentlich sind. Und darum, sich als Siegerin zu präsentieren.

Das ist nicht nur anstrengend, sondern kostet auch Spontaneität. Am Anfang habe ich immer relativ offen gesagt, was ich meine oder was mir Kopfzerbrechen macht, ohne darüber nachzudenken, wie das ankommt. So bin ich auch mit den Medien umgegangen. Ich glaube aber, dass mir das in der öffentlichen Wahrnehmung geschadet hat. Die Leute wollen Politiker, die klare Lösungen anbieten, nicht zögern und nach dem Motto „Augen zu und durch“ agieren. Ich bin aber kein Mensch für Augen-zu-und-durch, sondern emotional beteiligt und alles andere als taktisch.

Wollen Sie das ändern?

Nein, absolut nicht, ich will das behalten. Aber ich bin vorsichtiger mit dem lauten Nachdenken geworden und versuche heute eher, die Gewinnerseite einzunehmen. Am Anfang war ich unbefangener. Es hat mich überrascht, mit welchen Geschichten man so richtig auf die Schnauze fallen kann, wenn man die Eigendynamik der öffentlichen Debatte unterschätzt.

Was war am schlimmsten?

Die Geschichte um die Nachfolge von Barbara John …

der Integrationsbeauftragten des Senats, die nach ihrer Pensionierung im kommenden Mai gern ehrenamtlich weitergearbeitet hätte …

… hat mich schwer getroffen.

Warum ist das so schief gelaufen?

Ich glaube, dass die Medien uns gegeneinander ausgespielt haben. Ich hatte die Information, dass Frau John sich geäußert hat, und Frau John erfuhr dasselbe über mich. Aber keine wusste von der anderen, was sie wirklich gesagt hatte. Dann haben wir uns beide ums Runterkochen bemüht, und ich habe erst viel später gemerkt, dass einige vermutet haben, dass ich nach der verlorenen Bundestagswahl möglichst schnell jemanden aus der PDS-Fraktion unterbringen wollte. Das ist aber Unsinn, weil ich mit Frau John schon Monate vor der Wahl über ihr Angebot gesprochen hatte.

Hört sich so an, als wären die Medien schuld. Aber Sie waren auch sauer auf Barbara John. Sie haben ihr vergeworfen, sich als Ikone zu stilisieren.

Stimmt. Mich hat natürlich geärgert, als sie sich als unersetzbar dargestellt hat.

Das war aber erst der erste Akt. Das Drama ging weiter mit Ihrer Wunschnachfolgerin Anetta Kahane.

So weit war ich damals noch gar nicht, deshalb habe ich weder ihren Namen noch einen anderen in die Welt gesetzt. Aber wenn man mit einem konkreten Namen konfrontiert wird, kann man sich nicht dumm stellen.

Aber es ist ein weites Feld zwischen sich dumm stellen und zu sagen: Ja, das ist die Frau, die wir brauchen.

Richtig, meine Aufgabe als Senatorin ist auch, darüber nachzudenken, wer eine geeignete Person sein könnte. Und da habe ich Anetta Kahane dazugezählt.

Sie wussten von der Stasi-Akte von Anetta Kahane. Haben Sie das unterschätzt?

Nein, ganz und gar nicht. Im Gespräch habe ich sie darauf aufmerksam gemacht: Wenn Sie Interesse haben, sich zu bewerben, müssen Sie wissen, was auf Sie zukommen kann und ob Sie sich das antun wollen. Aber nachträglich muss ich sagen, dass mir diese Geschichte gründlich aus dem Ruder gelaufen ist.

Sie hat Ihrem Image auch nicht besonders gut getan. Das gilt auch für die Anti-Bush-Demonstration. Da hatte man den Eindruck, Wowereit hat Sie am Gängelband.

Das war der öffentliche Eindruck, aber das Problem war ein anderes. Ich habe damals den Unterschied unterschätzt, ob man Oppositionspolitikerin ist oder Regierungsmitglied. Ich habe mich spontan und ohne jede Absprache für meine Teilnahme an der Demo ausgesprochen und bin damit in die absurde Situation geraten, plötzlich gegen meine beiden PDS-Senatskollegen als einzige aufrechte Kriegsgegnerin dazustehen. Diese Rollenverteilung passte mir nicht. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht hinzugehen und stattdessen im Abgeordnetenhaus eine Erklärung gegen den Krieg abzugeben.

In der Öffentlichkeit kam an: Kaum ist sie in der Regierung, lässt sich die „Friedenspartei“ PDS die Teilnahme an einer Antikriegsdemo verbieten.

Klar. Und es ist schwierig, eine solche Geschichte im Nachhinein zu erklären.

Finden Sie Ihre Entscheidung heute noch richtig?

Ich finde es nach wie vor richtig, angesichts eines drohenden Krieges auch als Senatorin für den Frieden auf die Straße zu gehen, aber man muss das politisch besser vorbereiten und verhindern, dass das zu einer Koalitionsfrage hochstilisiert werden kann. Die Situation war für uns total verfahren. Es war damals extrem schwer, mit der neuen Rolle, den eigenen Ansprüchen und dem ungeheuren öffentlichen Druck fertig zu werden. Ich konnte nicht anders entscheiden.

Als Gregor Gysi mit der Begründung, er habe Angst vor Persönlichkeitsveränderungen – ob man das nun glaubt oder nicht – als Wirtschaftssenator das Handtuch geworfen hat, konnten Sie ihn da verstehen?

Nein.

Nein?

Nein, das konnte ich schon deshalb nicht verstehen, weil ich viel zu wütend darüber war. Aber natürlich gibt es Persönlichkeitsveränderungen, wenn man politische Verantwortung übernimmt, und davor fürchte ich mich auch. Aber ich vertraue darauf, dass ich es immer noch schaffe, Menschen um mich zu haben, die mir so nahe sind, dass sie mich korrigieren können, wenn es nötig ist. Und die mir zur richtigen Zeit sagen: Wenn du nicht bei allem, was dir wichtig ist, unter die Räder kommen willst, musst du es jetzt lassen.

Was ist Ihnen so wichtig?

Mein eher positives Menschenbild zum Beispiel. Ich will nie dazu kommen, gegenüber sozial bedürftigen Menschen ein Grundmisstrauen zu entwickeln, als hätten sie nichts anderes im Sinn, als unser Sozialsystem zu missbrauchen. Ich möchte mir überhaupt meine Offenheit Menschen gegenüber erhalten. Und ich möchte glaubwürdige Politik für alle machen, die an die gleichen Ziele wie ich glauben. Das sehe ich gefährdet, wenn man sich in der ganzen Vielfalt, die man in seinem Leben entwickelt hat, einschränken lässt.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel wenn politische Arbeit und Privatleben völlig auseinander fallen. Ich bin etwa froh, dass ich es gerade noch vor Weihnachten geschafft habe, meine engsten Mitarbeiter bei mir zu Hause zu bekochen. Das war ein Kraftakt, obwohl ich so etwas liebend gern mache und das eigentlich zu den Selbstverständlichkeiten meines Lebens gehört: einen riesengroßen Tisch zu haben und mir vorzustellen, dass er ganz häufig ganz voll besetzt ist und wir gute Gespräche haben. Sich darin einzuschränken, das ist gefährlich für die Persönlichkeit.

Haben Sie Gysi damals auch beneidet, dass er diesen ganzen Schlamassel los ist?

Nein, ich fand den Zeitpunkt politisch unglücklich und auch nicht inhaltlich begründbar. Ich hatte damals eher das Gefühl, dass es gerade anfängt, besser zu werden. Wir hatten den Haushalt durchgestanden, und ich fand, das ist ganz gut gegangen, die wichtigsten Vorhaben sind mir gelungen. Ich wollte den ganzen Schlamassel – wie Sie es nennen – gar nicht loswerden. Allerdings würde ich nicht ausschließen, dass ich irgendwann an diesen Punkt komme und denke: Jetzt ist Schluss, das kann ich nicht mehr vertreten. Aber so weit ist es nicht.