Abenteurertum ist Grund genug

Um die US-Kriegspläne gegen den Irak abzulehnen, bedarf es keines eigenständigen europäischen Konzeptes für den Nahen Osten. Eine Antwort auf Ralf Fücks

Die USA müssen uns davon überzeugen, dass ihr Krieg tatsächlich der Terrorismusbekämpfung dient

Unser Bundeskanzler ist normalerweise kein Freund sprachlicher Eindeutigkeit. Mit seiner Charakterisierung der amerikanischen Irakpolitik als „Abenteurertum“ allerdings ist ihm eine prägnante Formel eingefallen, die den Kern der Sache trifft. Denn wie anders als abenteuerlich soll man das politische Projekt bezeichnen, das unter dem Label „politische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens“ jetzt von den Planungsstäben in Washington ventiliert wird?

Erst sollten wir glauben, ein Angriff auf den Irak sei unbedingt und vor allem zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich, weil Saddam Hussein sonst binnen zwei oder drei Jahren über ein atomares Potenzial verfügen würde, das er ebenso bedenkenlos wie irrational einsetzen werde. Das Dogma, wonach eine Eindämmungspolitik gegenüber dem irakischen Staatschef brandgefährlich wäre, wurde zwar nicht mit Fakten, dafür aber mit zweifelhaften Analogien unterfüttert – vor allem mit der Gleichung „Saddam = Hitler“.

Danach wurde der Begründungszusammenhang verschoben. Die „politische Neuordnung“ wird mittlerweile als Demokratisierungsschub für den Irak und darüber hinaus für die ganze Region verstanden. Nach der Besetzung des Iraks und der Beseitigung des Diktators, so die Vorstellung, sollte ein demokratisch-pluralistischer, westlich orientierter Staat aufgebaut werden. Zusammen mit einem demokratisch verfassten Afghanistan und dem ebenso demokratisch orientierten neuen Staat der Palästinenser sollte der demokratische Funke dann auf die noch bestehenden autokratischen Regime überspringen, so George W. Bush in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung am 12. September 2002.

Gegen diese „Vision“ hat sich ein ganzer Chor von Kritikern zu Wort gemeldet – in den Vereinigten Staaten selbst und keineswegs nur aus dem linksliberalen Lager. Auf pragmatischer Ebene wird eingewendet, die Aufgabe der nation building im Irak erfordere eine langfristige Stationierung starker US-Militärverbände, um Sezessionsbestrebungen niederzuhalten, die Kontrolle über die Ölquellen zu sichern und Unruhen im Keim zu ersticken. Genau diese amerikanische Präsenz mit oder ohne UNO-Verkleidung werde es dann unmöglich machen, die Zustimmung der irakischen Bevölkerung für einen neuen Irak zu erringen – denn dieser würde nur als amerikanisches Protektorat angesehen werden.

Darüber hinaus wird grundsätzlich argumentiert, neue demokratische Institutionen im Irak könnten sich auf so gut wie keine zivilgesellschaftliche Basis stützen und verfügten über keinen Rückhalt in Form aufgeklärter städtischer Mittelschichten. Unter Vorherrschaft der USA würde der Irak daher zur Beute rivalisierenden Stammes- und Clanstrukturen werden.

Nicht besser sehen die Kritiker die Chancen für einen Demokratisierungsprozess im Gefolge einer Besetzung des Landes. Autokratische Regime, die im letzten Moment auf den Invasionszug aufspringen, würden mit der Sicherung ihrer Herrschaft belohnt. Die Position von Israels Premier Ariel Scharon würde unangreifbar, die Gründung eines Palästinenserstaats zur Schimäre. Stattdessen erschlössen sich dem Terrorismus neue Rekrutierungsquellen. Und: Sollte wider alles Erwarten aus dem Protektorat Irak ein funktionsfähiger Staat entstehen, so würde er das labile Gleichgewicht untergraben, das sich zwischen den arabischen Staaten seit der Auflösung des Osmanischen Reichs 1918 herausgebildet hat.

Statt durch Diskussion und Überprüfung dieser Argumente den Vorwurf des Abenteurertums entweder zu fundieren oder aber zurückzunehmen, wird im rot-grünen Milieu eine Tendenz sichtbar, die Botschaft George W. Bushs aufzunehmen und als ernst zu nehmende politische Strategie darzustellen. Beispielhaft hierfür ist der Aufsatz von Ralf Fücks (taz vom 3. 1.). Der Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung sieht in der neuen amerikanischen Irakstrategie eine selbstkritische Korrektur der bisherigen US-Linie, die auf Teufel komm raus feudal-korrupte Regime unterstützt hatte, wenn sie nur die amerikanischen Interessen absicherten.

Zwar sieht auch Fücks die Schwierigkeiten eines langfristigen militärischen und ökonomishen Engagements der USA etwa im Nahen Osten. Den „anachronistischen Machbarkeitswahn“, der dem Irakprojekt der Bush-Administation zugrunde liegt, benennt er sogar explizit. Aber eine Darlegung des inneren Widerspruchs zwischen einer Protektoratslösung unter US-Hegemonie und dem Anspruch auf demokratische Legitimierung einer künftigen irakischen Regierung findet sich bei Fücks nicht. Zwar hält er den Perspektivplan Bushs für schwierig zu verwirklichen, aber in seiner Argumentation sind die unwägbaren Risiken ausgeblendet, die den Vorwurf des Abenteurertums an die Adresse der USA rechtfertigen.

Im rot-grünen Milieu gibt es eine Tendenz, Bushs Botschaft als ernst zu nehmende Strategie darzustellen

Fücks unterstellt der amerikanischen Regierung allen Ernstes, sie wolle wirklich den Aufbau eines demokratischen Modellprojekts im Irak, mithin eines Staates, der seine Interessen, gestützt auf demokratische Legitimation, künftig auch gegen die USA durchsetzen könnte. Woher der demokratische Kredit für eine US-Regierung, die im eigenen Land Rechte und Freiheiten beschnitten hat wie keine andere seit den Tagen der McCarthy-Ära? Schwebt Fücks etwa eine Wiederholung der demokratischen Aufbauarbeit vor, die die Amerikaner im Deutschland der Nachkriegszeit geleistet haben? Dann hätte er die grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Unterschiede zu bedenken, die es zwischen den westlichen Besatzungszonen Deutschlands in der Zeit nach 1945 und einem besetzten Irak des Jahres 2003 gibt. Oder fürchtet Fücks, Kritik an der Bush-Regierung könne bei uns eine Renaissance antidemokratischen Denkens unter der Flagge des Antiamerikanismus auslösen? Diese Sorge könnte ausgeräumt werden, wenn die grundlegende Kritik an Bush gerade vonseiten der amerikanischen Opposition aufgenommen werden würde.

Stattdessen jedoch fordert Fücks die Europäer auf, eine Alternative zu Bushs Irakpolitik zu benennen. Nur wer glaubhaft ein Kontrastprogramm zur Eindämmung der terroristischen Gefahr und der Demokratisierung des Nahen Ostens vorweise, dürfe die US-Irakpläne verwerfen. Damit wird eine unangemessene Verteilung von Beweislasten postuliert. Denn es ist die amerikanische Regierung, die uns überzeugen muss, dass die Invasion des Irak der Bekämpfung des Terrorismus dient und dass sie wohltätige demokratische Wirkungen in der Region entfaltet.

Es stimmt: Die EU hat keine überzeugende Bilanz im Umgang mit Krisenherden vorzuweisen. Der Ausgang des Experiments, in Bosnien und im Kosovo demokratische Strukturen aufzubauen, ist mehr als ungewiss. Aber eine Lehre zeichnet sich bereits ab: Wenn dieses Experiment gelingen sollte, dann nur, weil es von den Völkern als ihre Sache aufgegriffen wird. Von dieser Einsicht ist das Irakprojekt der Bush-Regierung weit entfernt. CHRISTIAN SEMLER