Polizei missachtet erstmals „guten Brauch“

Beamte durchkämmen auf der Suche nach vietnamesischen Flüchtlingen das Pfarrhaus in Schwante nahe Oranienburg – jedoch vergebens. Brandenburgische Gemeinde hält am Kirchenasyl für Vater und Sohn fest und fordert Bleiberecht

Die Brandenburger Polizei hat gestern im Auftrag des Landratsamtes Oberhavel das Kirchenasyl in der kleinen evangelischen Gemeinde Schwante nahe Oranienburg gebrochen, um den Vietnamesen Xuan Khang Ha mit seinem fünfjährigen Sohn abschieben zu können. Die Abschiebung war für den heutigen Dienstag geplant. Allerdings hat die Polizei die zwei nicht angetroffen. „Die Situation ist unverändert“, erklärte Behördensprecherin Patricia Schuster. „Vater und Sohn sind laut Gerichtsentscheid zur Ausreise verpflichtet, und wir als Behörde haben die Pflicht, die Ausreise durchzusetzen. Da haben wir keinen Ermessensspielraum.“ Das Landratsamt sucht weiter nach Vater und Sohn.

„Die Polizei kam am Vormittag ohne Durchsuchungsbefehl sowohl in die Gemeinderäume als auch in die Privaträume des Pfarrers Johannes Kölbel“, beschrieb Simone Tetzlaff vom Kirchenkreis Oranienburg die Vorgänge am Montagmorgen. Sie verurteilte die Polizeiaktion. „Zum ersten Mal wurde in Brandenburg ein Kirchenasyl gebrochen. Bisher war es guter Brauch, dieses zu respektieren.“ In drei von vier Fällen hätten die Behörden bisher für Flüchtlinge im Kirchenasyl eine humanitäre Lösung gefunden. Sie widersprach außerdem der Darstellung aus dem Landratsamt: Die Behörde habe einen Ermessensspielraum. Der Kirchenkreis rief gemeinsam mit antirassistischen Gruppen für gestern Nachmittag zu einer Mahnwache vor dem Landratsamt auf.

Weil die Gemeinde davon ausgeht, Xuan Khan Ha müsse wegen seiner exilpolitischen Tätigkeit mit politischer Verfolgung in Vietnam rechnen, hält er am Kirchenasyl fest. „Wir haben die Unterlagen über die exilpolitische Tätigkeit Amnesty International und dem UNHCR zur Stellungnahme vorgelegt und das Landratsamt gebeten, auf eine Abschiebung zu verzichten, bis das Ergebnis vorliegt“, erklärte Simone Tetzlaff. Darauf habe die Behörde nicht reagiert.

Xuan Khan Ha gehört der „Demokratischen Organisation Vietnams“ an, einer Vereinigung vietnamesischer Asylbewerber aus dem ganzen Bundesgebiet. Sie druckt regelmäßig Schriften vietnamesischer Dissidenten aus dem Internet aus und sendet diese als private Postsendungen an Freunde nach Vietnam. „Dieser Umweg ist wegen der fehlenden Pressefreiheit die einzige Chance, regierungskritischen Stimmen in Vietnam Gehör zu verschaffen“, sagt ein Mitglied der Exilorganisation, das nicht genannt werden will. In Vietnam wurden in den vergangenen Wochen zwei Dissidenten zu Haftstrafen von zehn und vier Jahren verurteilt, die im Internet oppositionelle Schriften veröffentlicht hatten. Das Verwaltungsgericht Cottbus hatte mehrfach vietnamesischen Flüchtlingen wegen ihrer Mitgliedschaft in der „Demokratischen Organisation Vietnams“ Asyl gewährt.

Der Fall Xuan Khan Ha hatte im September bundesweit Aufsehen erregt, weil das Landratsamt den allein erziehenden Vater ohne seinen Sohn abschieben wollte. Das hatte ein Gericht untersagt. Seit Dezember leben Vater und Sohn in Schwante im Kirchenasyl. MARINA MAI