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: HELMUT HÖGE über Transformationskabinette

„Eine Transen-Formation zieht an uns vorbei“ (der RBB über die Loveparade 2008 in Dortmund)

Im Osten ist man geschichtsbewusster als im Westen: Dort hat man nicht nur die fortschrittlichen Aspekte im Preußentum immer hochgehalten, eine bessere Philologie und sogar ganze Stadtteile, wie den Prenzlauer Berg, mit Traditionskabinetten ausgestattet. Was hier zwecks Verehrung verdienter Kämpfer der Arbeiterklasse im Wohnbezirk ausgestellt wurde, diente in den Betrieben, Bildungseinrichtungen und Behörden dem Ruhm all jener Mitarbeiter, die sich im proletarischen Kampf gegen das internationale Kapital und seine Schergen (vulgo: Büttel) mehr oder weniger heldenhaft geopfert hatten.

Im Glühlampenwerk Narva waren das z. B. die Konterfeis einiger Genossen aus der Osram-Betriebsgruppe. Sie arbeiteten in der „Drahtzieherei“ und waren Anfang der Dreißigerjahre in die Sowjetunion geflüchtet – unter Mitnahme von Patenten und Materialien, die der Moskauer Betrieb „Elektrosawod“ dringend benötigte. Die Errichtung dieses Werks ging auf Verträge zwischen der Sowjetunion und Rathenau zurück, es war quasi ein „Milchbruder der Berliner AEG-Werke“, wie russische Historiker das nennen.

Bevor die Produktion aber so richtig anlaufen konnte, verhängte das internationale Elektrokartell, in dem Siemens und Osram führend waren, ein Wolfram-Embargo gegen die Sowjetunion. 1963 verfolgte die deutsch-amerikanische Politik diese Strategie noch einmal mit einem „Röhrenembargo“, um den Bau der Gaspipeline von Sibirien in die DDR zu verhindern. Die FAZ schrieb: „An der Leitung kleben das Blut, der Schweiß und die Tränen von Heeren sowjetischer Arbeitssklaven“ – deswegen kein menschenmörderisches Sowjetgas. Niemals!

Auf das Wolfram-Embargo der jungen Sowjetrepublik, die gerade mit der Formel „Elektrifizierung + Sowjets = Kommunismus“ angetreten war, antwortete die Komintern-Zentrale mit einem partisanischen Akt: Sie mobilisierte die KP-Genossen in der Berliner Elektroindustrie. In den Dreißigerjahren herrschte ein reges Kommen und Gehen zwischen den kapitalistischen Ländern und der Sowjetunion. Das sich damals stürmisch industrialisierende Land war zum Haupteinwanderungsland geworden, auch für viele Amerikaner – ohne Arbeit.

In Deutschland kam bald die Verfolgung durch die Nazis dazu. Die Berliner Drahtzieher aus den Osram-Werken gelangten auf diese Weise über den Umweg Moskau schließlich in das Traditionskabinett von Narva. Der kommunistische Andachtsraum mit den vergilbten Märtyrerfotos hinter Glas diente der Mythifizierung des „Antifaschismus“ von Staats wegen, meinte rückblickend ein Referent im Ostberliner Kulturverein „Helle Panke“. Die Einrichtungen dieser Kabinette waren jedenfalls das Erste, was nach der Wende auf den Müll geworfen wurde, als Nächstes folgten die Büromöbel der Parteisekretäre. Im Batteriewerk BAE in Oberschöneweide machte man aus dessen Büro sofort ein vornehm gekacheltes „Investorenscheißhaus“ – mit Palmen neben den Waschbecken.

Auf die Wende folgte die „Transformationszeit“. Die „Man in Sportswear“-Banden vermehrten sich schneller als das Bruttosozialprodukt. Die den Wilden Osten überlebten, gehen heute längst in grauen oder blauen Anzügen. Und seit einiger Zeit richten sie in ihren Betrieben und Behörden sowie auch auf Friedhöfen„Transformationskabinette“ ein: für all die Märtyrer, die als Personenschützer, Leibwächter, Kuriere oder Beauftragte auf der Strecke blieben. 1.200 starben allein in den drei sibirischen „Aluminiumkriegen“ – bis der weltgrößte Alukonzern stand. Und wieder hängen da nun Porträts an den Wänden, zusammen mit den Insignien der „Transformation“: Autoschlüssel, Handy, Adidasschuhe, Mauser. Auch diese ursprüngliche Akkumulation war kein Honigschlecken. Die Transformationsgewinnler schicken ihre Kinder deswegen heute auf teure Eliteschulen, sie sollen es mal besser haben – und sich nie die Hände schmutzig machen müssen, sondern gleich mit Kopfarbeit anfangen. Eigentlich sind die Transformationskabinette für sie da, damit sie nicht vergessen, wo sie herkommen – und wem sie das alles zu verdanken haben. Hier geht es um die Mythifizierung des „Antikommunismus“. Deswegen trägt auch der Staat in vielen Ostblockländern gerne zur Pflege dieser Transformationskabinette sein Scherflein bei.