Ich zeig dir mein Regal

Annie François und Rainer Moritz erzählen vom Leben mit Büchern – und dass man kein schlechter Mensch ist, wenn man einen Roman von Marlene Streeruwitz verschenkt

„Buchgeflüster“ heißt das erste Werk der französischen Lektorin Annie François. Sie macht sich auf, das Lesen von seinem Medium her zu erklären. In essayartigen Abhandlungen beschreibt sie zunächst einmal die sinnliche Wahrnehmung des Buches. Wie hört es sich an, wenn man noch geschlossene Buchseiten aufschneidet? Sind pinkfarbene Taschenbücher nicht etwas Schreckliches, vor allem, wenn sie nach Schimmel statt nach Sandelholz riechen?

Die Antworten lesen sich recht amüsant und sollen, wie der Untertitel „Autobiobibliographie“ verrät, einen Einblick in das Leben der Autorin geben. Doch Informationen wie die, dass sie „Ende Dezember 1992 ‚Omer Pascha Latas‘“ und „im März 1993 ‚Reise um meinen Schädel‘“ gelesen hat, reichen nicht aus, um dieses Versprechen einer Verbindung von Leben und Lesen zu erfüllen. Die sinnliche Reise endet in einer Aufzählung von Buchtiteln, die ihre Bedeutung erst durch das Gewicht und die Regalmeter, die sie einnehmen, gewinnen: Vierzig Zentimeter Cormac McCarthy konkurrieren gegen eine Kiste Paul Auster. Nicht im Lesen, sondern im Besitzen und Zurschaustellen scheint für Annie François die Hauptfunktion der Bücher zu liegen. Und wenn man sie nicht besitzen, sondern lediglich ausleihen kann, wie in Bibliotheken, erscheinen sie ihr darum auch wie „registrierte Huren, die ihre Freier am Fließband abfertigen“.

Dieses Phänomen, Bücher als Statussymbol zu benutzen, ist nicht neu, und bis heute markiert das Medium die Grenze zwischen sozialen Schichten. Volle Bücherregale gelten als Insignien des Akademikers gegenüber der Welt des Arbeiters, und will man sich bildungsbürgerlich geben, hält man sich am besten an den althergebrachten intellektuellen Dresscode mit Rollkragenpullover, Hornbrille und dem passenden Buch unter dem Arm – zumindest glaubt das Rainer Moritz. Der Lektor des Hoffmann-&-Campe-Verlages hat es in seinem „Buch zum Buch“ aufgegeben, nach Inhalten zu fragen. Auf die „achte ich ohnehin kaum, womit ich mich, nebenbei bemerkt, auf der Höhe der Zeit befinde“, konstatiert er.

Auch Moritz beginnt mit einer äußerlichen Beschreibung des Buches. Anekdoten über Eselsohren, Sandkörner und Wasserwellen in der Urlaubslektüre tauchen auf. Doch im Gegensatz zu seiner französischen Kollegin hat Moritz gar nicht erst den Anspruch, von dieser Beschreibung der Oberfläche auf eine inhaltliche Ebene zu schließen. Unter Stichworten wie „Bestseller“ oder „Dauerkrisen“ versucht er einen Führer durch den Literaturmarkt zu geben. Nicht das Lesen, sondern die Welt der „Fräuleinwunder“, Buchmessen und schreibenden Politiker soll durch seine Tipps ein wenig klarer werden. „Schiller und Ostern geht nicht, Goethe und Weihnachten schon“, die ersten Sätze und das Cover sind oftmals wichtiger als das ganze Buch, und wer „Marlene Streeruwitz oder Lothar Späth verschenkt, kann kein wirklich schlechter Mensch sein“.

Moritz begegnet der literarischen Eventkultur mit Ironie: Warum lesen, wenn Dieter Bohlen seine Indiskretionen sowieso durch die Talkshows verbreitet und Ariane Sommer ihre veröffentlichten Benimmregeln auf schrillen Buchpräsentationen vorstellt?

In einer Welt, in der wir uns die Wirklichkeit durch Fernsehbilder und Werbelogos aneignen, erscheint die Betonung der Verpackung auch hinsichtlich der Bücher nur konsequent. Der Inhalt rutscht an der bunten Oberfläche ab – und übrig bleibt ein Medienspektakel, das die Botschaft ist. AYGÜL CIZMECIOGLU

Annie Francois: „Buchgeflüster“. Aus dem Französischen von Marianne Schönbach. Persona, Mannheim 2002. 124 Seiten, 14,50 € Rainer Moritz: „Das Buch zum Buch. Ein ABC der Leselust“. Sanssouci, München 2002. 157 Seiten, 12,90 €