Genossenschaften im Aufwind

Früher sollten Konsumgenossenschaften den Mangel an preiswerten Lebensmitteln beheben. Heute organisieren sich Pflegebedürftige, Freiberufler und Dorfbewohner eine eigene Versorgung, wo die großen Anbieter nicht mehr mitmachen

von ANNETTE JENSEN

Als die Betreiberin des Tante-Emma-Ladens in Rente gegangen war und ihr Nachfolger nach ein paar Monaten aufgegeben hatte, sah es aus, als ob es in Bechtoldsweiler nie wieder Brot und Milch zu kaufen gäbe. Doch der Ortsvorsteher der 600-Seelen-Gemeinde am Rande der Schwäbischen Alb wusste, wie wichtig der Laden gerade für die älteren Leute ist. Also warb er im Dorf dafür, eine Genossenschaft zu gründen, um den Laden weiterzubetreiben.

Viele der älteren Dorfbewohner haben kein Auto, um in den Supermarkt auf der grünen Wiese oder in der nächsten Stadt zu fahren. Und auch als alltäglicher Treffpunkt ist der kleine Geschäftsraum nicht zu ersetzen. So kauften fast alle Familien Anteile, selbst ehemalige EinwohnerInnen beteiligen sich. Und es dauerte nicht lange, bis die 30.000 Mark (rund 15,340 Euro) Startkapital zusammen waren. Zwei Verkäuferinnen aus dem Dorf wurden für halbe Tage angestellt, und so gab es weiterhin Eier und Mehl, Putzmittel, Obst, Gemüse und Wein zu kaufen. „Alle waren froh, dass der Laden sicher lief“, sagt Genossin Brigitte Brenner.

Doch nach vier Jahren war das Startkapital aufgebraucht: Viele machten sich doch lieber auf den Weg in die Stadt, um sich in den größeren Läden zu versorgen, wo die Auswahl größer und die Ware billiger ist. Da beschlossen die GenossInnen, dass der Laden schließen sollte, wenn er zwei Monate hintereinander weniger als die zum Betrieb nötigen 15.000 Euro erwirtschaften würde. Seither hallen immer wieder Kaufappelle durch das Dorf, sobald in einem Monat ein Minus erwirtschaftet wurde.

Mit Erfolg. Noch nie gab es seither zwei schlechte Monate hintereinander. Und inzwischen haben die GenossInnen sogar neue Absatzmärkte organisiert: Am Sonntagmorgen nach dem Kirchgang treffen sich die Männer zum Frühshoppen und trinken dabei Bier, das der Laden geliefert hat. Beim „Stubenhock“ am Freitagabend, den ein rüstiger Rentner für alle Interessierten im alten Rathaus organisiert, gibt es ebenfalls Getränke von dort. Inzwischen hat der Laden sogar ein Jahr mit leichtem Gewinn abgeschlossen.

Der Betrieb in Bechtoldsweiler ist kein Einzelfall. „Seit etwa zehn Jahren werden Konsumgenossenschaften gegründet, um einen regionalen Mangel zu beheben“, erklärt Detlef Schmidt, Präsident des Gesamtverbands Deutscher Konsumgenossenschaften. Schon immer zielten Konsumgenossenschaften darauf ab, den Bedarf nach Produkten zu befriedigen, die auf dem freien Markt nicht oder nur zu unangemessenen Bedingungen angeboten werden. Während es früher allerdings vorwiegend darum ging, durch den gemeinsamen Einkauf billigere und bessere Lebensmittel zu bekommen, entsteht der Mangel heute, weil kleine Läden auf dem Land dem Wettbewerbsdruck großer Ketten nicht standhalten können.

Der Gesamtverband Deutscher Konsumgenossenschaften zählt inzwischen 51 Mitgliedsunternehmen mit jeweils ein bis 240 Läden, an denen 800.000 GenossInnen beteiligt sind und die immerhin 15.600 Menschen beschäftigen.

Nicht nur für Tante-Emma-Läden eignet sich diese Unternehmensform hervorragend. Auch Hotels, Reiseunternehmen und beispielsweise die taz sind so organisiert. Und in Hamburg und Bremen existieren seit einigen Jahren so genannte Assistenz-Genossenschaften, die Schwerbehinderten und anderen Pflegebedürftigen ihre Dienste anbieten. Die können nicht nur bestimmen, von wem sie gepflegt werden wollen, sondern auch, wann die HelferInnen auftauchen sollen. Die Hamburger Assistenz-Genossenschaft hat etwa 100 Mitglieder – davon ist etwa die Hälfte pflegebedürftig. Doch auch Nichtmitglieder können KundInnen werden. Die Kosten übernimmt in beiden Fällen die Pflegekasse oder die Hamburger Sozialbehörde.

Mit knapp 10.000 Stunden im Monat zählt die Assistenz-Genossenschaft zu den großen Anbietern von häuslicher Pflege in der Hansestadt. „Wir wollten mit der Rechtsform auch die Beteiligung der Kunden steigern. Schließlich ist eine Genossenschaft ja eine sehr demokratische Organisationsform“, erläutert Mitbegründer und Aufsichtsratsvorsitzender Gerlef Gleiss. Anfangs habe genau daran allerdings kein Interesse bestanden, erinnert er sich. Inzwischen engagiere sich aber immerhin etwa ein Drittel der GenossInnen in der einen oder anderen Form für die Genossenschaft.

Ganz frisch ins Genossenschaftsregister eingetragen ist die Mediendenkfabrik, die zwar in Hamburg ansässig ist, aber Mitglieder in der ganzen Republik und darüberhinaus sucht. Ziel ist es, GrafikerInnen, KünstlerInnen, Web-DesignerInnen und TexterInnen für einzelne Projekte zu vernetzen oder ihnen konkrete Dienste anzubieten. Wer beispielsweise ein Buchprojekt plant, findet Unterstützung bei der Suche nach einem Lektor, der Aufstellung eines Marketingplans oder einem Vertriebskonzept, berichtet Vorstandsmann Christian Sternberg. Eine Datenbank mit wichtigen Informationen für die Zielgruppe wird gerade aufgebaut. Mit 500 Euro Genossenschaftsanteil ist man dabei. Die jährliche Hauptversammlung findet im Netz statt.