Sozialsystem kein Wohlstandsluxus

betr.: „Zurück in die Bonner Republik“, Kommentar von Ralph Bollmann, taz vom 11. 9. 08

Es wäre schön, wenn Herr Bollmann vor der Abfassung solcher Dogmen wie derjenigen, dass die Arbeitslosenhilfe eine Institution sei, die es in dieser Form nirgendwo auf der Welt gebe, zumindest einen minimalen Abgleich mit der Realität durchführen würde.

Ein ganz kurzer Blick in die Sozialsystem-Vergleichstabelle der Europäischen Kommission (MISSOC) hätte dann gezeigt, dass es auch heute noch, nach zahlreichen neoliberalen Sozialkürzungsprogrammen in ganz Europa, in folgenden EU-Mitgliedsländern eine Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit gibt, die dauerhaft vom vorherigen Arbeitseinkommen abhängt: Belgien (zeitlich unbegrenztes ALG), Dänemark (begrenzt auf vier Jahre, Verlängerung bis zum 60. Lebensjahr möglich), Frankreich (Allocation spécifique de solidarité), Irland (Assistance), Österreich (Notstandshilfe), Finnland (Työmarkkinatuki).

Deutschlands Sozialsysteme wurden mit der Agenda 2010 eben gerade nicht auf den „üblichen Standard“ des übrigen (West-)Europas gebracht, sondern damit wurde ein neuer Zyklus von Sozialdumping ausgelöst, indem die dortigen Sozialsysteme durch Deutschland unter massiven Konkurrenzdruck gesetzt wurden. Da es sich beim „alten bundesrepublikanischen Sozialsystem“ daher nicht um einen Wohlstandsluxus handelte, wie von Herrn Bollmann impliziert, sondern um ganz gängigen westeuropäischen Standard, ist es auch nicht das „viele Geld, das in die Statussicherung floss“, welches nun der Bildung fehlt, sondern, was Herr Bollmann hier verschweigt, das viele Geld, das in zahlreiche Steuererleichterungen der letzten Jahre zugunsten der Bezieher von Kapitaleinkommen den öffentlichen Haushalten entzogen wurde.

GEROLD SCHWARZ, Hamburg