„Schach mit offenem Visier“

Gespräch mit dem israelischen Programmierer Shay Bushinsky (41) über die Begegnung des von ihm konzipierten Computers Deep Junior mit dem russischen Weltranglistenersten Garri Kasparow

Interview HARTMUT METZ

taz: Bei Kramnik kontra Fritz spielte der menschliche Weltmeister gegen den Weltranglistenersten der Computer. Jetzt spielt der Computer-Weltmeister gegen den Weltranglistenersten der Menschen, Garri Kasparow. Welcher Zweikampf besitzt einen höheren Stellenwert?

Shay Bushinsky: Aus meiner Warte ist das Match gegen Kasparow höher einzuordnen. Das Duell Kramnik contra Fritz war insofern merkwürdig, weil es in der ersten Hälfte so aussah, als würde da nicht Fritz spielen. In der zweiten Hälfte war es genau umgekehrt, da wirkte Kramnik wie ausgewechselt. Beide Seiten führten in ihrer Schwächeperiode unerklärliche Züge aus. Deshalb habe ich meine Schwierigkeiten, es als ein interessantes Match einzustufen.

Was bewegt Sie zu der Annahme, dass es Kasparow und Deep Junior besser machen?

Der Spielstil von Kasparow und Kramnik unterscheidet sich gewaltig. Kasparow spielt mit offenem Visier und aggressiv. Ich hoffe nicht, dass wir die Zuschauer damit langweilen, minimale Vorteile zu erringen. Bleibt Kasparow seinem Stil treu, werden wir aufregende Partien erleben, in denen das Blut fließt.

Kasparow ist darauf erpicht, gegen Junior die Geschichte etwas geradezurücken, nachdem er 1997 gegen den IBM-Großrechner Deep Blue eine Blamage erlebte.

Mit Deep Blue war das etwas ganz anderes. Das Programm tauchte kurz auf und verschwand auch bald wieder. Wir aber sind keine Überraschung, weil Deep Junior schon seit rund einem Jahrzehnt bekannt ist. Kasparow benutzt unsere WM-Version zum Analysieren. Ich mutmaße, dass er auch einige Testpartien gegen Deep Junior gespielt hat. Natürlich haben wir in den vergangenen Monaten versucht, unser Programm weiter zu verbessern – aber Wunder können wir nicht vollbringen. Wie soll man auch Kasparow überraschen? Der Bursche weiß alles über Schach.

Sie mussten ihm vorab aber nicht die Wettkampf-Version geben, so wie Deep-Fritz-Hersteller Chessbase es bei Kramnik getan hat?

Nein, wir sind nicht festgelegt und dürfen die Version fortschreiben. So etwas wie im Match zwischen Kramnik und Deep Fritz hätten wir nie akzeptiert. Die Gründe dafür habe ich auch nicht verstanden. Ich halte es für einen Fehler, dass sich beide Seiten darauf einlassen, das ist doch nachteilig für das gesamte Experiment. Es ist sinnlos, wenn man sein Programm nicht verbessern darf.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Ihrem Programm „Deep Junior“ und den anderen populären Schachprogrammen?

Ich denke, unsere dynamische Stellungsbewertung ist der größte Unterschied und beschert Junior im Vergleich zu anderen Programmen die meisten Vorteile. Bis zur Junior-7-Version, die meiner Meinung nach eine Pionierarbeit darstellt, waren Materialopfer der Programme enorm spekulativ. Die Menschen wussten sich in den Partien einfach nicht richtig zu verteidigen, weshalb diesen unsauberen Opfern des Computers Erfolg beschieden war. Als wir vor zwei Jahren in Maastricht ohne einzigen Partieverlust mit 8:1 Punkten die Weltmeisterschaft gewannen, befand sich Junior materiell immer im Nachteil. Ein Programm ist normalerweise materiell orientiert, weil das die Gewinnwahrscheinlichkeit zunächst erhöht. Diese Gier aus dem Programm herauszubekommen, ist sehr schwierig. Junior aber widersteht nun der Versuchung, Material zu fressen und ist ein sehr solider Opferer. Er schätzt die Stellung richtig ein.

Seine letzte Niederlage gegen einen Menschen, den griechischen Großmeister Hristos Banikas, kassierte Deep Junior vor drei Jahren. Werden Sie Kasparow auseinander nehmen?

Kasparow befindet sich derzeit in fantastischer Form, zudem konnte er Lehren aus dem Match von Kramnik gegen Fritz ziehen. Also: Wir wollen einen famosen Kampf bieten – und wir haben gute Chancen, ihn zu schlagen. Wenn wir am Ende gut gespielt haben, aber genial ausmanövriert wurden, schert uns aber auch eine Niederlage wenig.