Auf dem Kontinent der eifrigen Spitzel

Eine mediale Anti-Terror-Kampagne setzt auf Plattitüden – und vergiftet das gesellschaftliche Klima in Australien

MELBOURNE taz ■ Nach dem Bombenanschlag auf der Ferieninsel Bali im Oktober 2002, bei dem 88 Australier ums Leben kamen, hat die australische Regierung den Inselkontinent in einen erhöhten Alarmzustand versetzt und in diesen Tagen versuchsweise eine dreimonatige Antiterrorkampagne in den Medien des Landes gestartet. Aus Steuergeldern hat der Staat umgerechnet 8,6 Millionen Euro bereitgestellt, um die Bürger, nach den Worten des konservativen Premierministers John Howard, dazu anzuregen, „wachsam, aber nicht alarmiert“ zu sein.

Die Wirkung dieser Anzeigen in den Zeitungen, auf den TV-Bildschirmen und im Rundfunk ist aber verblüffend. Nach den Umfragen der Meinungsforscher leide heute mehr als ein Viertel der Bevölkerung an einem „allgemeinen Paranoia-Zustand“ und fürchte einen Terroranschlag auf australischem Boden, während 79 Prozent der Bevölkerung die Überzeugung äußerten, Australien sei ein „echtes Ziel für Terroranschläge.“

Dass die USA aufgrund der engen Militärallianz mit der Canberraer Regierung Westaustralien als einen Versorgungsstützpunkt für ihre größten Kriegsschiffe erkoren haben, bestärkt die heutigen Angstvorstellungen. Die Anzeigen suchen auch die Australier zu animieren, Antiterrorspione zu sein und, falls sie terrorverdächtige Umtriebe bemerken, diese über eine 24-Stunden-Hotline sofort den Sicherheitsbehörden zu melden.

Diesem Aufruf sind die Australier so eifrig gefolgt, dass schon in den ersten Tagen der Kampagne 2.600 Meldungen einliefen. Dabei gab es auch einige üble Scherze, wie den Bericht eines 18-Jährigen, der behauptete, eine Gruppe von muslimischen Aborigines bei der Vorbereitung von Bombenanschlägen in Perth und Fremantle beobachtet zu haben. Die Fahndungen der Polizei ergaben, dass dies eine Falschmeldung war. Der junge Mann wird sich jetzt vor Gericht zu verantworten haben.

Die Antiterroranzeigen stoßen natürlich auch auf scharfe Kritik. Die Labor-Opposition fordert, dass die etwas plattitüdenhaften Anzeigentexte in praktische Verhaltensratschläge für den Fall von Terroranschlägen abgeändert werden. Die Verfechter der individuellen Handlungsfreiheit warnen davor, dass die Anzeigen Selbstschutzgruppen entstehen lassen könnten, die dann versuchen würden, gegen mögliche Terrorverdächtige in Eigenregie vorzugehen.

Proteste kommen auch aus der Führung der etwa 300.000 in Australien lebenden Muslime, die befürchtet, dass die Anzeigen zu einer Zunahme der Angriffe gegen die arabischen Bevölkerungsteile führen. Stephen Juan, Anthropologe der Universität von Sydney, urteilt über die gegenwärtigen Zustände: „Er ist vorbei – der australische Lebensstil ist nach dem Bombenattentat verloren gegangen“, klagt er. „Wir sind heute paranoid.“

Die Australier fühlten sich, meint Juan, nach Bali und im Schatten des internationalen Terrorismus, derart terrorisiert, dass sie stets „in einem Countdown zu einem Terroranschlag zu leben scheinen und dabei seien, ihren bisher entspannten, zwanglosen und angenehmen Lebensstil zu verlieren.

Der amtierende Premierminister John Anderson erklärte am Dienstag, die erhöhte Alarmstufe und die scharfe Bewachung der wichtigen Infrastruktureinrichtungen und Gebäude bliebe möglicherweise noch jahrelang erhalten, weil nach glaubwürdigen Informationen die Gefahr von Anschlägen islamistischer Terrorgruppen nicht geringer geworden sei.

BORIS B. BEHRSING

Die „Medialen Welten“ beleuchten ab sofort in loser Folge kritisch internationale Medienpraxis und Pressefreiheit – auch da, wo alles in Ordnung scheint