Globetrotter trainiert im Paradies

Fußballlehrer Rudi Gutendorf wird wieder aktiv: Mit 76 Jahren übernimmt er auf Samoa sein 55. Traineramt

Als er das erste Mal aufbrach in die große, weite Welt, war es noch Konrad Adenauer persönlich, der ihn verabschiedete. „Machense’s jut, Herr Jutendorf“, soll der Alte von Rhöndorf zu Rudi Gutendorf damals gesagt haben, und wenn man das große Ganze sieht, ist Herr Jutendorf der Aufforderung des Kanzlers stets nachgekommen, auf seine ganz eigene Art und Weise und nicht nur beim tunesischen Erstligisten US Monastir, bei dem vor 31 Jahren die wundersame Geschichte von Riegel-Rudi, dem Fußball-Globetrotter, begann. Monastir war damals, 1961, Gutendorfs achter Trainerposten – davor hatte er unter anderem den SV Rengsdorf (Kreisklasse), Rot-Weiß Koblenz (Bezirksklasse), den TuS Neuendorf (Oberliga) sowie die Blue Stars aus Zürich (Nationalliga B) angeleitet – das Amt auf der Südseeinsel Samoa wird nun Gutendorfs 55. Trainerstation sein im 28. Land. „Ich freue mich auf das Paradies“, sagt der 76-Jährige, vorerst für drei Monate wird er die Nationalmannschaft Samoas trainieren.

Dazwischen hat der Mann, der beim Finanzamt als „Künstler und Artist“ geführt wird, so ziemlich alles erlebt, was es in der Welt des Fußballs zu erleben gibt: Er gewann mit Cristal Lima den peruanischen Pokal und verlor mit den Fidschiinseln auf Samoa gegen Tahiti. Er gründete die Nationalmannschaft Botswanas und erwischte gerade noch das letzte Flugzeug, um vor dem Militärputsch 1973 aus Chile flüchten zu können, auch dort war er Nationaltrainer. In Nepal hingegen verehren sie den Fußballlehrer, der seine Lizenz noch aus den Händen von Sepp Herberger entgegennahm, noch heute. 1981, es war seine 35. Trainerstation, führte Gutendorf das kleine Land zum ersten Sieg gegen das große Indien – bei strömendem Regen und mit einem relativ simplen Trick: In der Pause hatte er seiner Mannschaft rutschfeste Stollenschuhe verpasst.

Vielleicht wirkte der Zauber von Riegel-Rudi auf den heimischen Fußballplätzen auch deshalb stets weit weniger: Weil Stollenschuhe hierzulande längst zur Grundausstattung gehören – und auch sonst so manche Methode, die bei Gutendorf auch heute noch Anwendung findet, doch eher anmutet, als habe er sie aus der Mottenkiste der Trainingslehre von ganz unten hervorgekramt. Mag sein, dass die als trinkfreudig bekannten Spieler von Cristal Lima es einigermaßen lustig fanden, aus Gründen der Disziplinförderung vor dem Training deutsches Liedgut wie „Oh du schöner Westerwald“ intonieren zu müssen, in der Bundesliga hingegen finden solche Methoden seit einigen Jahrhunderten kaum mehr Anwendung. So waren Gutendorfs inländische Engagements – unter anderem beim Meidericher SV, VfB Stuttgart, Schalke 04, Kickers Offenbach, 1860 München, TB Berlin, dem Hamburger SV sowie zuletzt (1984) bei Hertha BSC Berlin – meist von noch kürzerer Dauer als die im Ausland.

Zwar mag Rudi Gutendorf auch mit 76 Jahren das Desinteresse des deutschen Fußballs an seiner Person nicht so richtig verstehen, damit abgefunden aber hat er sich allemal. „Jetzt ist es eben nicht mehr die große Oper. Und wenn man nicht hat, was man liebt, dann muss man lieben, was man hat“, merkt er dazu nur noch an. Gut, dass Rudi Gutendorf für die nächsten drei Monate wenigstens Samoa hat. Ganz bestimmt wird er es lieben.

FRANK KETTERER