Eins zu null für Kim Jong Il

US-Präsident George W. Bush zeigt sich versöhnlich und will den Dialog. Auch die Internationale Atomenergiebehörde setzt den Abtrünnigen eine Galgenfrist, bevor sie den Sicherheitsrat anrufen will. Nordkorea indes rasselt weiter – zumindest rhetorisch

von SVEN HANSEN

Im Streit um sein Atomprogramm hat Nordkorea gestern die USA gewarnt, dass Wirtschaftssanktionen gegen das ostasiatische Land als Kriegserklärung aufgefasst würden. In einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur KCNA hieß es: „Sanktionen bedeuten Krieg, und der Krieg kennt keine Gnade.“ Die Agentur bezog sich auf das vorübergehende Festhalten eines nordkoreanischen Frachters mit für den Jemen bestimmten Scud-Raketen im Arabischen Meer im Dezember. KCNA bezeichnete dies als Piraterie und als Versuch, Nordkorea mit Sanktionen zu isolieren. „Die USA sollten sich für einen Dialog mit Nordkorea entscheiden, nicht für Krieg, sicher wissend, dass sie für solch rücksichtslose Taten einen sehr hohen Preis bezahlen müssen.“

Zuvor hatte US-Präsident George W. Bush in Washington erklärt, die USA wollten Nordkorea nicht angreifen, sondern setzten auf Gespräche. Wie diese aussehen könnten, sagte Bush nicht. Als Vorbedingung fordert er von Pjöngjang eine Beendigung seines Atomprogramms. Bush kam jedoch mit seiner Äußerung einem südkoreanischen Vermittlungsvorschlag entgegen, der eine amerikanische Nichtangriffserklärung und die Wiederaufnahme der US-Öllieferungen im Tausch für eine Beendigung des nordkoreanischen Atomprogramms vorsieht. Zurzeit verhandeln Delegationen aus Südkorea und Japan in Washington über eine gemeinsame Position gegenüber Pjöngjang. Diese sollte aus Sicht Seouls nicht konfrontativ sein.

Nachdem im Oktober nach US-Angaben nordkoreanische Vertreter die Entwicklung eines geheimen Atomprogramms gestanden haben und damit ein Abkommens von 1994 gebrochen wurde, stellte Washington seine Lieferungen im Dezember ein. Pjöngjang verwies darauf die internationalen Atominspektoren des Landes. Laut dem US-Geheimdienst CIA verfügt Nordkorea bereits über zwei Atombomben und könnte im Sommer womöglich sechs weitere produziert haben.

Bush begrüßte auch eine am Montagabend in Wien verabschiedete Resolution der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Auf einer Sondersitzung hatte der 35-köpfige Gouverneursrat der Behörde Nordkorea in einer Resolution zur sofortigen und vollständigen Zusammenarbeit aufgefordert. Nordkoreanische Vertreter sollten umgehend mit IAEA-Vertretern zusammentreffen mit dem Ziel, die Inspektoren schnell wieder ins Land zu lassen. IAEA-Generaldirektor Mohamed al-Baradei drohte bei einer Pressekonferenz, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten, wenn Nordkorea nicht entsprechend reagiere. Der könne dann Sanktionen verhängen. Die Resolution setzt Nordkorea keine Frist, doch der sich optimistisch gebende al-Baradei geht von Wochen und nicht von Monaten aus.

Der russische IAEA-Delegierte Grigorij Berdennikow forderte die USA und Nordkorea zu Verhandlungen auf. Mit Blick auf Washington sagte er: „Aggressive Rhetorik und Drohungen, besonders Versuche der Isolierung Nordkoreas, können nur zu weiteren Spannungen führen.“

Bushs Rückendeckung für die IAEA-Resolution deutet zugleich eine weichere Linie des Weißen Hauses an. Wie die New York Times gestern berichtete, sollte Bush noch vor einer Woche eine Resolution der IAEA favorisiert haben, die dem Weltsicherheitsrat Sanktionen nahe legt. Doch sei er davor gewarnt worden, dass dies Nordkorea zu einem Militärschlag verleiten könnte. Dieser Eindruck dürfte durch die gestrige nordkoreanische Rhetorik des „Kriegs ohne Gnade“ verstärkt worden sein.

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