Schröders neue Botschaft

Das Kanzleramt hat dem Regierungschef ein Strategiepapier geschrieben. Der bringt es in Wiesbaden nur am Rande ins Spiel

aus Wiesbaden JENS KÖNIG

Es gehört offenbar zur charakterlichen Grundausstattung des modernen Politikers, Fehler nicht zugeben zu können, aber Wochen oder Monate später, wenn ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist, umso offenherziger Verfehlungen einzugestehen. Da sich Gerhard Schröder als besonders modern empfindet, beherrscht er dieses Spiel auch besonders gut. „Natürlich sind die ersten Monate für die Bundesregierung nicht gut gelaufen“, sagt der Kanzler in diesen Tagen jetzt öfter, und er lächelt dabei, als sei er sicher, die Journalisten würden dieses Geständnis als das begreifen, als das er es versteht: quasi die halbe Miete im Kampf gegen die Krise, in der die Regierung steckt. „Wir müssen besser werden, und wir werden besser werden“, schickt Schröder dann in einer ausgewogenen Mischung aus Selbstkritik und Optimismus hinterher.

Aber wer die Lage der rot-grünen Regierung nüchtern betrachtet, bemerkt schnell, dass diese hehren Worte nur eine sehr begrenzte Suggestionskraft entfalten. Die Zahl der Arbeitslosen liegt zu Beginn des neuen Jahres immer noch bei weit über vier Millionen, im Irak droht ein Krieg, in den bundesweiten Umfragen dümpelt die SPD bei 30 Prozent herum, und am 2. Februar droht die Partei nicht nur die Wahlen in Hessen, sondern auch noch in Niedersachsen zu verlieren. Schröders Spin-Doctors im Kanzleramt behaupten aber, der Regierungschef habe jetzt zu einer Strategie gefunden, die Rot-Grün wieder aus der Defensive bringen wird.

Härten und Zumutungen

In wenigen, ausgewählten Zeitungsinterviews vor und nach Weihnachten sowie in seiner Neujahrsansprache hat der Kanzler neue Töne angeschlagen. Vom „Mut zu grundlegenden Veränderungen“ sprach er plötzlich, von einem „harten Weg“, an dessen Beginn Deutschland stehe, von „mehr Eigenverantwortung jedes Einzelnen“. Die Zeit, wo jede unangenehme Botschaft in Watte verpackt wird, ist jetzt vorbei – das sollte das Signal sein.

Politisch ausgefüllt wird diese Botschaft durch ein Strategiepapier, das im Kanzleramt unter Federführung von Kanzleramtsminister Steinmeier, einem der engsten Vertrauten Schröders, erarbeitet wurde. Darin wird versucht, der Regierungspolitik der nächsten Jahre („Strategie 2010“) eine Richtung zu geben, die bei der Neuauflage von Rot-Grün bislang schmerzlich vermisst wird. Der Kerngedanke des Papiers, der so wortwörtlich nicht auftaucht, aber sich als roter Faden durch den Text zieht, lautet: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik brauchen wir weniger soziale Wärme, mehr Eigenverantwortung und eine größere Effizienz. So einige Härten und Zumutungen, zu denen sich die Regierung bislang nicht durchringen konnte, tauchen allgemein, andere konkret auf. Von den Rentnern werden Opfer bei der Kürzung der Staatsausgaben verlangt, weil der Bund heute schon fast jeden dritten Euro für die Rente ausgibt. Die Krankenkassen sollen Versicherten Wahltarife mit Eigenleistungen anbieten können oder Rabatte für gesundheitsbewusstes Verhalten.

Das Kanzleramt hat das Stragiepapier kurz vor Weihnachten in die Öffentlichkeit lanciert. Hinterher gestreut wurde, das Papier beschreibe einen notwendigen Weg, ohne dass Schröder schon jedes Detail davon mittrage. Der Kanzler nannte es in der Süddeutschen Zeitung eine „vorläufige Gedankenszizze“. Das Ziel des Manövers ist klar: Schröder will als entschiedener Reformer dastehen, der die Wut der Deutschen über seine Politik verstanden hat. Aber auf konkrete Punkte festnageln lassen will sich der Kanzler nur ungern. Er ist schließlich noch Vorsitzender der SPD, seine ohnehin zutiefst verunsicherte Partei will er nicht verprellen. Eher schon einlullen, besänftigen, mitnehmen.

Das war Schröders eigentliches Ziel für die Klausurtagung der SPD-Spitze. Er hatte nicht nur Präsidium und Vorstand, sondern auch die Bundesminister und Ministerpräsidenten nach Wiesbaden geladen. Seine Botschaft wollte er vermitteln und gleichzeitig das Arbeitsprogramm für das kommende Jahr beschließen. Für die Botschaft, den Richtungswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, stand die gesamten zwei Tage über Schröders momentan bestes Pferd im Stall, Superminister Wolfgang Clement.

„Für richtig gehalten“

Er legte dem SPD-Vorstand ein Papier über die Förderung des Mittelstandes vor, das dieser mit dem etwas hochtrabenden Titel „Wiesbadener Erklärung“ versah und flugs beschloss. Selbst die Parteilinke begrüßt das Clement-Konzept, das Steuererleichterung und einen Abbau bürokratischer Hemmnisse verspricht. Quasi im Gegenzug für so viel Loyalität versprach der Vorstand, die weiter gehenden Vorschläge der Linken um die Vorstandsmitglieder Andrea Nahles, Ulrich Maurer und Hermann Scheer in speziellen Foren mit Experten zu diskutieren und gegebenenfalls in das Clement-Papier zu integrieren (siehe Kasten unten).

Schröder dürften diese Details nicht so sehr am Herzen liegen. Ihm kommt es auf das Signal an: Die SPD tut etwas für den Mittelstand. Das kann vier Wochen vor wichtigen Landtagswahlen nie schaden. Und ganz nebenbei brachte der Kanzler seine Mega-Botschaft unter: Was Clement da aufgeschrieben habe, sei eine erste, konkrete Ausformulierung dessen, worüber das Kanzleramt in seinem Strategiepapier grundsätzlich nachgedacht habe, sagte Schröder auf einer Pressekonferenz. Und fügte noch hinzu, dass die Grundrichtung des Steinmeier-Papiers „von allen in der Parteiführung für richtig gehalten wird“. So hat Schröder quasi unter der Hand die „vorläufige Gedankenskizze“ aus seinem Regierungsapparat zum Leitpapier für die SPD erklärt. Natürlich nicht ohne den Hinweis, niemand solle das Kanzleramtspapier jetzt „als Bibelersatz begreifen“. Gerade dieser spielerische Umgang Schröders mit einem halboffiziellen Strategiedokument und angedeuteten Botschaften gibt dem Ganzen etwas Unernstes. Vielleicht liegt es daran, dass etliche SPD-Politiker das Kanzleramtspapier nicht für voll nehmen. „Ich wette“, sagt einer aus der Parteiführung, „der Schröder hat das nicht mal gelesen.“