Das Jahr des Herings

Mit seinem Film „Arkona, Rethra, Vineta“ begab sich „Uckermark“-Regisseur Volker Koepp 1989 im Ostseeraum auf Spurensuche nach untergegangenen Städten. Er fand dort unter anderem eine in Agonie befindliche DDR

Geschichte wiederholt sich nicht, und ihr Spezifisches erschließt sich nur dem unverstellten Blick

Wenn jemand wie Volker Koepp einen Archäologiefilm dreht, wird kein BBC-taugliches „The Mystery of ...“ dabei rauskommen, das ist klar. Was aber interessiert den Regisseur so geschichtsbewusster, doch wenig seminaristischer Werke wie Herr Zwilling und Frau Zuckermann und letztens Uckermark an längst versunkenen Städten aus unruhigen Völkerwanderungsepochen?

Im Frühjahr 1989 geht Koepps Team im Ostseeraum zwischen Elbe und Oder auf Spurensuche nach Arkona, Rethra und Vineta. Alle drei Orte waren um die vorletzte Jahrtausendwende religiöse und wirtschaftliche Zentren der Wenden, eines Slawenstammes, der ab dem Jahr 500 von der Donau kommend das Gebiet besiedelt hatte und zur Lokalmacht zwischen Deutschland, Polen und Dänemark geworden war. Nach 1150 ist die wendische Gemeinschaft endgültig zerbrochen – an internen Intrigen und fortdauernden Angriffen durch die Nachbarvölker. Ihre heidnischen Götzen wichen der Christianisierung.

Aus dieser Zeit stammen die Legenden um den Untergang der Städte: Arkona auf Rügen wurde 1168 von den Dänen geschliffen, Rethra liegt auf einer gefluteten Insel irgendwo in einem mecklenburgischen See, und Vineta, die Sagenumwobene, ist im Hochmut ihrer Bewohner und im Meer versunken. Wo genau, darüber streiten Laien und Expertisen. Vor Wollin an der Odermündung? Oder bei Barth im Bodden von Darß?

Die Heringsfischer auf Usedom haben von Vineta noch ihre ganz eigene Anschauung. Bei klarer See lassen sich unterm Kiel ihrer Kutter nämlich gepflasterte Straßen und Gemäuer im Riff erkennen, hin und wieder fängt sich eine alte Scherbe im Netz. Mit diesen Gelegenheitshistorikern schließt Koepp Freundschaft, und bald wird deutlich, dass sein Interesse an den Ruinen des Altertums nur den Vorwand liefert, um eine Ruine der Gegenwart zu dokumentieren: die DDR.

„Mit Geld läuft hier nix mehr, nur noch auf Tauschbasis“, beschreiben die Fischer die realsozialistische Ökonomie der letzten Tage. Wenn im Sommer die Ostseetouristen kommen, hängen sie ein paar Aale in den Rauch und verdienen sich ein kleines Zubrot. Die Reparatur des zerfetzen Zylinderkopfs ihres uralten Bootsmotors können sie sich dafür dennoch nicht kaufen, es fehlt an Ersatzteilen. Heringe, die zentnerweise aus der Ostsee geholt werden, kommen vom Kutter erst mal in Kisten, dann irgendwann auf offene Lastwagen, die Richtung Rostock zuckeln. Auf Koepps Frage, in welchem Zustand der Fisch in der Fabrik anlange, winkt der Fahrer nur ab.

Am Ende der Fangsaison lautet die Schlagzeile der Fischereinachrichten stolz: „Mit erfülltem Plan zur Wahl“. Da sitzen sie dann um den Küchentisch, große Bierflaschen in großen Händen, erinnern in ihrer mecklenburgischen Brummigkeit ein bisschen an Cresspahl aus Uwe Johnsons Jahrestage und wissen nichts Besseres zu sagen über ihren Staat als: „Naja“. Tags darauf melden die Boote sich dann wieder auf die Minute bei der Küstenwache an und ab, weil die Fanggründe im Grenzgebiet liegen.

Andere hätten die Analogie zwischen dem Zerfall der DDR und dem Untergang anderer Reiche überzogen, hätten mittels Montage aus diesem Metaphern für jenen gebastelt. Nicht so Koepp. Geschichte wiederholt sich nicht, und ihr Spezifisches erschließt sich nur dem unverstellten Blick. Wenn die Fischertochter vor dem Schminkkästchen am Tag ihrer Jugendweihe über die Partei spricht, oder ihre Eltern von skandinavischen Ferien träumen, springt einen der besondere Muff und Frust im Land förmlich an. Wenn das Radio zwischen den Seewettermeldungen auch unerhörte Neuigkeiten von der ungarisch-österreichischen Grenze verbreitet, muss die Reaktion auf solche Nachrichten misstrauische Zurückhaltung bleiben. Ironie findet später statt: Als Koepp am 11.11.1989, zwei Tage nach Maueröffnung, noch einmal nach Usedom fährt, läutet der örtliche Karnevalsverein gerade zur närrischen Jahreszeit. Urs Richter

Donnerstag, 21.15 Uhr, Metropolis (in Anwesenheit des Regisseurs)