Tanz als Evolution begreifen

Afrikanische Performances jenseits folkloristischer Spektakel präsentiert auf Kampnagel die Compagnie salia nï seydou aus Burkina Faso, die Grenzbereiche zwischen Körper und Geist erforscht

von MARGA WOLFF

Der Einfluss des afrikanischen Tanzes auf den europäischen zeitgenössischen Tanz ist unbestritten. Man denke nur an den amerikanischen Jazz und Modern Dance, an Break und Hip Hop, die alle ihre Spuren auch im europäischen zeitgenössischen Tanz hinterlassen haben.

Aber warum sieht man hier so selten, wie sich der afrikanische Tanz heute auf den Bühnen seiner Herkunftsländer künstlerisch darstellt? Tanz und Theater aus Afrika stellt Kampnagel jetzt für drei Monate ins Zentrum. Im Januar sind mit der Compagnie salia nï seydou aus Burkina Faso und der Alajotas Dance Company aus Nigeria zwei exponierte Vertreter des zeitgenössischen Tanzes zu Gast. Mit „Polyzentral“ veranstaltet Kampnagel im Februar/März einen Themenschwerpunkt, der Theater und Performance aus verschiedenen Teilen Afrikas präsentiert.

Die Compagnie salia nï seydou aus Burkina Faso etwa war bereits in Hamburg zu sehen. Doch ging ihr Kurzauftritt 1996 beim Sommertheater-Festvial ziemlich unter. Gerade hatten die beiden Tänzer, Choreographen und Gründer der Compagnie, Salia Sanou und Seydou Boro, einen Choreographie-Wettbewerb gewonnen.

Nationale Tanzplattformen auf allen Kontinenten versuchten damals, zeitgenössischen Tanz aus den entlegensten Winkeln der Welt ans Licht zu holen. Und auch wenn die daraus entstandenen Netzwerke noch funktionieren – der Tanz aus Afrika fiel schnell wieder durch die Maschen. Dabei engagieren sich Künstler wie Salia Sanou und Seydou Boro für einen künstlerischen Dialog und dafür, das schöpferische Potenzial des afrikanischen Tanzes zu vermitteln. Ihr Gastspiel in Hamburg umfasst daher neben der Deutschlandpremiere ihrer jüngsten Produktion Weeleni, l‘appel die Präsentation des Dokumentarfilms La rencontre (Regie: Seydou Boro). Boros Film fragt nach der Bedeutung und der Zukunft eines kreativen zeitgenössischen Tanzes auf einem Kontinent, wo der Tanz bis heute fest an spirituelle Kontexte und Ziele gekoppelt ist. Außerdem geben Boro und Sanou einen Workshop für professionelle TänzerInnen.

Das kulturelle Erbe, aus dem die beiden Tanzkünstler schöpfen, ist reich und vielfältig. Im Mittelpunkt steht jedoch die Erkenntnis, dass die Tradition etliches über die Gegenwart erzählt. Verstärkung erhalten sie bei ihrem Auftritt durch Ousseni Sako. In drei Soli treten die drei Männer in einen Dialog mit vier Musikern. Deutlich ist der Tanz von traditionellen Ausdrucksformen der afrikanischen Kultur inspiriert, kennt aber auch die Techniken amerikanisch-europäischer Prägung. In Weeleni, l‘appel antworten die Körper auf die Rufe übersinnlicher Kräfte. Sako erforscht in seinem Solo Waati Grenzbereiche zwischen Leben und Tod. Boro drückt in Fémininmasculin Widersprüchlichkeiten des Körpers aus. Und Sanou rührt in Gestes an die Beziehung zwischen Körper und Geist.

Sanou und Boro begannen in der Compagnie von Mathilde Monnier in einem Projekt der Choreographin mit französischen und afrikanischen Tänzern. 1994 gründeten sie in ihrer Heimat Burkina Faso die Compagnie salia nï seydou und gewannen mit ihrer ersten eigenen Choreographie Le siècle des fous den ersten Preis beim internationalen Wettbewerb „Afrique en Créations“. 2000 riefen sie das Festival „Dialogues de corps“ ins Leben.

Sanou nimmt immer wieder die Herausforderungen an, die sich ihm als Teil einer neuen Generation afrikanischer Tanzkünstler stellen und sucht Stereotypen festgefahrener choreographischer Traditionen aufzubrechen. Und den Tanz als Evolution, als Erforschung einer universellen Sprache zu begreifen.

Compagnie salia nï seydou (Burkina Faso) Weeleni, l‘appel: Mittwoch, 15. bis Freitag, 18. Januar, 20 Uhr, Kampnagel k1; Film: La rencontre: Mittwoch, 15. Januar nach der Tanzvorstellung. Workshop: 17. und 18. 1. 03, Anmeldung unter Tel.: 270 94 90