: Optisch zurückhaltend
Mit zusätzlicher inhaltlicher Stoßrichtung: Heute wird im Hinterconti die neunte Nummer der „Neid“ vorgestellt
Wer die neue Neid in den Händen hält, wird sich wundern. Gemessen an den acht Ausgaben des Femi-Zines, die in unregelmäßigen Abständen seit 1992 erschienen sind, nimmt sich diese optisch geradezu bieder aus. Gegründet an der HfbK von Ina Wudtke, Heiko Wichmann und Claudia Reinhardt, erscheint das Magazin inzwischen unter der alleinigen Ägide der Fotografin, Veranstaltungsorganisatorin und DJ Ina Wudke. Und die erklärt im Editorial der neuen Nummer, das visuell zurückhaltende Erscheinungsbild sei Ausdruck eines Bedürfnisses nach inhaltlicher Neuorientierung.
Anstelle aufwendiger Grafiken und einer prominenten Platzierung von Fotos gibt es nun eine Reihe sich theoretisch verstehender, eher spärlich illustrierter Textbeiträge: zweisprachig englisch und deutsch, verpackt in ein außen farbiges, handliches Din-A5-Format. „Der Fokus dieses Readers richtet sich parallel mit der Entwicklung der zeitgenössischen Gender-Debatte auf Themen der kulturellen und globalen Identität“, wird im Editorial die Wende erläutert.
Auf das Thema „Gender“ richtetet sich die Neid schon immer, und auch Diskussionen und künstlerische Auseinandersetzungen mit „Identität“ und „Identitätspolitik“ standen seit dem Start des Projekts stets hoch im Kurs. Neu ist die Ausrichtung eines Teils der Beiträge an Themen der Globalisierung beziehungsweise der Kritik an ihr.
Besonders lesenswert ist Dieter Lesages Auseinandersetzung mit „Identität in den Zeiten der Globalisierung“. Anstatt nämlich, wie viele Globalisierungskritiker, die Einebnung unterschiedlicher kultureller Identitäten zu beklagen, argumentiert Lesage, die globalisierte Wirtschaft produziere selbst diese Identitäten und versuche sie auszubeuten. Das ist verglichen mit so manch anderem Beitrag dieser Neid-Ausgabe erstaunlich klar formuliert. Klarheit aber, darin ist das Heft ganz Fanzine, stellt sich in der Neid allenfalls für eingeweihte Leserinnen und Leser her.
Die meisten der Beiträge hätten zudem genauso gut vor sieben Jahren in der Neid oder einem artverwandten Femi-Zine stehen können. Ein Biotop-ähnliches Dasein scheinen hier die Debatten um Judith Butler und ihr Konzept der Subversion von Geschlechterverhältnissen zu fristen. Die Neid-Ausgabe mit dem 90er-Jahre-Titel representin‘ und Ambitionen für zukünftige Diskussionen wird heute Abend von ihrer Macherin im Hinterconti präsentiert.
Christiane Müller-Lobeck
Präsentation heute, 20 Uhr, Hinterconti, Marktstr. 40aNeid Nr. 9, B-books Berlin 2002, 144 S., 12 Euro; www.bbooksz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen