Kongeniales

Mit Béla Tarrs „Werckmeister Harmonien“ und „Satanstango“ beginnt das B-Movie an diesem Wochenende seine Januar-Reihe „Bilderstürme – Literatur und Theater im Film“

Wie Tarantino in „Pulp Fiction“ oder Jim Jarmusch in „Mystery Train“ erzählen Kraznahorkai und Tarr in Schleifen

von ECKHARD HASCHEN

Vier Filme zeigt das B-Movie in seiner Reihe „Bilderstürme“, von denen einer eineinhalb, einer zweieinhalb, einer drei und einer siebeneinhalb Stunden lang ist – Letzerer, Béla Tarrs Satanstango damit also länger als die drei anderen zusammen. Und schon hört man selbst beinharte Cineasten stöhnen: So lange Filme, die rauben einem doch viel zu viel kostbare Lebenszeit. Dabei sollten doch eigentlich nicht nur Rivette- und Tarkowskij-Fans längst wissen: Ein gelungener sehr langer Film gibt einem immer ein Vielfaches von dem zurück, was man an Zeit und Geld in ihn investiert hat. Und außerdem: Welcher passionierte Leser fragt bei einem guten 1000-Seiten-Roman nach der investierten Lebenszeit?

1994 uraufgeführt, kann man Satanstango schon einen Klassiker nennen und seinen ungarischen Regisseur, Béla Tarr (Jahrgang: 1955), den Susan Sontag für seine „heroischen Verletzungen“ gegenwärtiger filmischer Normen gerühmt hat, in einem Atemzug mit Tarkowskij und Angelopoulos. Wie der zugrunde liegende neun Jahre zuvor erschienene gleichnamige Roman von Lázló Krasnahorkai, der auch eng am Drehbuch mitarbeitete, besteht der Film aus zwölf Teilen, der „Tanzordnung“, welche die Kreisfigur einer Stagnation beschreibt.

Irgendwo in der ungarischen Tiefebene fristen drei Ehepaare, ein Arzt und ein rebellischer Einzelgänger ihr tostloses Dasein. Sie sind die letzten Zurückgebliebenen einer aufgelösten Siedlung. Statt auch zu gehen, hoffen sie von dem ehemaligen Dorfbewohner Irimiás, auf den sie wie auf einen Erlöser warten, gerettet zu werden. Aber der ist in Wahrheit nur ein kleiner Betrüger, der aus den Sehnsüchten der Menschen Kapital schlägt, ihnen buchstäblich das letzte Geld aus der Tasche zieht.

Woraus bezieht diese in regenverhangenen Schwarz-Weiß-Bildern daherkommende Untergangsvision nun ihre geradezu magische Sogwirkung? Nicht zuletzt wohl aus ihrer während der ersten, minutenlangen Einstellung von ihrem Stall verlassenen Kühen nicht unbedingt zu erwartenden komplexen Erzählweise, die ein amerikanischer Kritiker als „Pulp Fiction in slow motion“ beschrieben hat. Denn wie Quentin Tarantino oder wie Jim Jarmusch in Mystery Train erzählen Kraznahorkai und Tarr in Schleifen, wobei einem plötzlich aufgeht, worauf das Geschehen zusteuert, weil man das Folgende gerade aus anderer Perspektive gesehen hat. Gemeinsamkeiten rein struktureller Art natürlich, schließlich ist Satanstango eine mahlstrohmartige Parabel auf den Untergang des Kommunismus, wie sie sich düsterer kaum denken lässt.

Ebenfalls nach einem Roman von Kraznahorkai, Die Melancholie des Widerstands“, entstand Werckmeister Harmonien, Tarrs neuester vor drei Jahren in Cannes uraufgeführter Film, mit dem die Reihe heute beginnt. Wieder in der ungarischen Tiefebene angesiedelt, wird auch hier von der Verführbarkeit des Menschen erzählt. Die Ankunft eines Wanderzirkus‘ verändert das Leben in einer Kleinstadt von Grund auf. Blind folgen die Menschen hier in ihrer Not einem Monster in Gestalt eines ausgestopften Wals. Als dahinter ein Prinz hervorkommt, brechen sich die destuktiven Gefühle Bahn. Nur 39 Einstellungen in 145 Minuten braucht Tarr für diese weitere, zuweilen surreale Züge annehmende Untergangsvision, in der man überraschend Lars Rudolph und Hanna Schygulla erblickt.

In der Woche darauf lässt sich bei Solaris Andrej Tarkowskijs „Meditation durch Schönheit“ bestaunen. Als Antwort auf Kubricks 2001 gedreht, erreicht Tarkowskijs metaphorischer Stil in dieser knapp dreistündigen, kongenialen Verfilmung von Stanislav Lems philosophischem Science-Fiction-Roman zum ersten Mal seine Vollendung.

Wie gut oder schlecht Clemens Klopfensteins Werangstwolf mit seinen in italienischer Landschaft ihren Text memorierenden Schauspielern in die Reihe passt, will man ungesehen nicht beurteilen. Immerhin stammen die Texte von Shakespeare, Tschechow, Albee oder Gorki und treten Bruno Ganz, Stefan Kurt oder Tina Engel auf und das alles in nur 85 Minuten.

Werckmeister Harmonien: heute + Sa, 20.30 Uhr; Satanstango: So, 14 Uhr; Werangstwolf: Do, 16.1. + So, 19.1., 20.30 Uhr, Sa, 18.1., 20.30 + 22.30 Uhr; Solaris: So, 23.1. + Sa, 25.1 + So, 26.1., 20.30 Uhr, alle B-Movie