Die Archäologie des Krieges

Landschaft unter militärischem Gerät: In seinem neuen Fotoband „afghanistan zero“ dokumentiert Simon Norfolk die Spuren, die ein Vierteljahrhundert Krieg in Afghanistan hinterlassen hat

von ROBERT HODONYI

Ausgebrannte Autowracks stehen vor ausgebombten Häusern. Von einem ehemaligen Teehaus ist nur noch das achteckige Betonskelett übrig, davor steht ein Luftballonverkäufer. Dieses Bild könnte symbolisch für die Post-Taliban-Zeit und einen neuen Aufbruch Afghanistans stehen. Denn wie die Papierdrachen waren Luftballons unter den Taliban verboten. Inzwischen sieht man jeden Tag hunderte Drachen über dem Himmel Kabuls kreisen, und die Ballonverkäufer bevölkern wieder die Straßen.

Gewöhnlich fehlen die Menschen auf den Bildern, die Simon Norfolk zwischen 1999 und 2001 aufnahm und jetzt in seinem Fotoband „afghanistan zero“ veröffentlichte. Gerade ihre Abwesenheit macht die Tragödie der jüngeren afghanischen Geschichte erst sichtbar. Der 1963 in Nigeria geborene Simon Norfolk studierte im britischen Newport Dokumentarfotografie und arbeitete als Fotojournalist Anfang der Neunzigerjahre für das Magazin Living Marxism. Er dokumentierte vor allem die Entwicklung der extremen Rechten in Großbritannien. Dabei fokussierte er insbesondere die British National Party. Zugleich verfolgte er in seinen Bildern den Nordirlandkonflikt und begleitete die Transformationsprozesse in Osteuropa. Mitte der Neunzigerjahre wandte er sich einem Thema zu, das ihn bis heute beschäftigt: dem Genozid. Norfolk reiste nach Ruanda, Namibia und Afghanistan. Für seinen Fotoband „afghanistan zero“ wurde er in diesem Jahr mit dem European Publisher Award ausgezeichnet.

Die historische Klammer bilden die sowjetische Invasion Ende der Siebziger und die amerikanischen Bombardements nach dem 11. September 2001. Mehr als 20 Jahre Krieg und Bürgerkrieg haben die Landschaften Afghanistans geprägt: Wie Skelette von Dinosauriern bedecken rostige Überreste des militärischen Geräts weite Teile des Landes. Ausgebombte Gebäude lassen bizarre Ruinenlandschaften entstehen. So erkennt man auf der Fotografie vom Hasara-Viertel im Kabuler Bezirk Afschar nur noch die Grundmauern. Anfang der Neunzigerjahre war der Bezirk bei Kämpfen zwischen den Bewohnern und Rabbanis Streitkräften eingeebnet worden. Der Charman, einst einer der größten Boulevards Kabuls, ist ebenfalls nur noch rudimentär vorhanden. Zwischen den Resten der Gebäude, die während der Kämpfe zwischen rivalisierenden Mudschaheddin zerstört wurden, stehen inzwischen wieder selbst gebaute Holzhütten, die zugleich als Unterkünfte und Geschäfte dienen.

In einigen Abbildungen scheinen Kultur und Natur miteinander zu verschmelzen. Eine Anordnung verlassener Panzer in der Wüste nahe Qual-y-Shanan wird zu einem Bestandteil der Landschaft ebenso wie die sowjetischen Cluster-Bomben, die wie runde Steine die felsige Oberfläche ergänzen. Das militärische Material wird für zivile Aufgaben umfunktioniert: Ein Transportwagen der Roten Armee dient auf der Straße zum Salangpass als Brückensockel. Heckflossen von sowjetischen Luftbomben werden jetzt als Abgrenzungspfosten für die Felder von Bauern verwendet.

Die Folgen der amerikanisch-britischen Bombardierung schildert Norfolk mit Bildern von vernichteten Taliban-Stellungen oder den Überresten von Antonow-Frachtflugzeugen, der Luftwaffe der Taliban. Die Aufnahme einer kontrollierten Sprengung von amerikanischen Cluster-Bomben, die fälschlicherweise über einem Dorf und der Obstplantage von Aqa Ali-Khuja abgeworfen wurden, zeigt allerdings auch die Folgen der Bombardements für die Zivilbevölkerung – ohne dass diese anklagend ins Bild gerückt würde.

Simon Norfolk: „afghanistan zero“,Edition Braus, Heidelberg 2002,96 Seiten, 39,90 €