Im Dreischritt des Leidens

Exaltiert wie jeder rituelle Exorzismus ist „Die unbarmherzigen Schwestern“, Peter Mullans filmische Abrechnung mit der katholischen Kirche Irlands und den von ihr betriebenen Magdalenen-Heimen

Unter den Figuren ist nicht eine, die den Schrecken außer Kraft setzen könnte

von CLAUDIA LENSSEN

Der Anfang ist eine große Szene: Eine irische Hochzeitsgesellschaft feiert mit rauer Musik. Der Sänger singt seine Ballade auf das Brautpaar und treibt den Rhythmus mit Löffelschlägen an. Die Kamera sucht in Großaufnahmen eine bestimmte Geschichte in dem Durcheinander. Sie folgt der geflüsterten Verabredung zwischen zwei jungen Leuten und beobachtet, wie das Mädchen im Nebenzimmer auf Zärtlichkeiten eingeht, sich aber dem heftigen Drängen des Jungen verweigert und vergewaltigt wird. Als stummes Drama unter der lauten Glückwunschballade halten die Bilder den Schock des Mädchens bei der Rückkehr in den Saal fest, das Getuschel unter den Frauen, denen sie sich anvertraut,den Zorn des Vaters, als er informiert wird.

Was folgt, ist die erste von vielen dramaturgischen Steigerungen der Gewalt, die für Peter Mullans Haltung zu seinem Film typisch sind. Das Mädchen wird verantwortlich gemacht für die Schande, wird bestraft und abgeschoben in ein Magdalenen-Heim, eine von Nonnen betriebene Einrichtung für „gefallene Frauen“. Peter Mullans Abrechnung mit dieser Institution – das letzte der Heime wurde 1996 geschlossen – basiert auf den Lebensgeschichten junger Frauen, die Mitte der Sechzigerjahre in die Fänge von Schwester Bridget (Geraldine McEwan) und deren Ordensadjutantinnen gerieten. Die Schwestern sind drastisch konturierte Typen, die verschiedene Spielarten von Habgier, Sadismus und sexueller Frustration verkörpern.

„Die unbarmherzigen Schwestern“ zeigt ein Pandämonium der Demütigung, eine Art Höllenkreis des Elends in pathetisch empörter Anlehnung an die Erniedrigungspassionen bei Dante, de Sade und der KZ-Literatur, hier als Universum einer klerikal legitimierten Frauenherrschaft und – realistisch modern – als blankes Geschäft. Die unschuldigen „gefallenen Mädchen“ müssen ohne Lohn schuften, während die Oberin geldverliebt jede Münze in ihrem Safe bunkert.

Drei Vorgeschichten stehen für typische Opfersituationen: Margaret (Anne-Marie Duff), das vergewaltigte Mädchen, wird von der Familie verstoßen. Der hübsche Teenager Bernadette (Nora-Jane Noone), flirtet über den Zaun des Waisenhauses hinweg mit den Jungs und wird von den bornierten Nonnen ihres Heims ausgesondert. Rose (Dorothy Duffy) wird das unehelich geborene Kind nach der Geburt weggenommen, ihre Eltern verweigern jedes Wort der Aussprache und verfrachten sie stumm ins düstere Schwesternhaus nach Donegal. Schließlich Crispina (Eileen Walsh), das schwächste und anrührendste unter den Opfermädchen: Sie wird dafür bestraft, dass sie ihren kleinen Sohn am Gartentor des Heims sehen möchte, erleidet die Schikanen, die das System für die Devoten bereithält, und verliert am Ende den Verstand.

Unter dem Personal der drei Vorgeschichten und den Figuren, die aus der Außenwelt mit dem Knastleben der unschuldigen Mädchen in Berührung kommen, gibt es nicht eine, die eine Gegenkraft zum erzählten Unterdrückungsmechanismus darstellt. Die irischen Familien dieses Films sind wortlos bigott, widerspruchslos borniert, lustfeindlich und herzlos – ein Anti-Klischee zum Stereotyp der irischen Familiensaga. Einzige Ausnahme: der Bruder eines Mädchens, der es nach Jahren aus dem Heim herausholt und so demonstriert, wogegen Peter Mullans Empörung anrennt: Die patriarchale irische Familie hat das Treiben der unbarmherzigen Schwestern unterstützt, um die weiblichen Opfer der Gesellschaft scheinbar endgültig zum Verschwinden zu bringen.

Dieser Film ist exaltiert wie jeder rituelle Exorzismus. Entweder folgt man der Erregungskurve des dargestellten Terrors, oder man hakt die Liste der Übel ab, die die Überraschungsdramaturgie bietet. Mullan verfällt als Regisseur der ungezügelten Inszenierungslust. Der Horror ist total wie in einem kalkulierten Genrestück. Geraldine McEwan hat die Chance dieses Gruselstücks für sich erkannt und stattet die Figur der Oberin mit grimmiger Komik aus. Die Darstellerinnen der Mädchen bringen die notwendige Portion street credibility mit, um den realistischen Anspruch nicht ganz zu eliminieren. Jede von ihnen macht mit unterschiedlichem Temperament den Dreischritt der Leidenserfahrung durch: erster Schock, Trauma und scheinbare Gehirnwäsche, schließlich doch noch einmal Widerstand und Energie für die Flucht. Das Ende ein Showdown fürs ganze System und der Ausbruch ins freundlichere Irland der 70er-Jahre.

„Die unbarmherzigen Schwestern“. Regie: Peter Mullan. Mit Geraldine McEwan, Anne-Marie Duff u. a., Großbritannien/Irland 2002, 119 Min.