Unsicherheit im UN-Sicherheitsrat

Nachdem die UN-Waffeninspektionen im Irak bisher nicht zu den von den USA gewünschten Ergebnissen kommen, steigt bei den Großmächten die Hemmschwelle vor einer Kriegsermächtigung. Derweil wird an der militärischen Drohkulisse gebaut

Die UN-Inspektoren haben einen Großteil der US-Vorwürfe überprüft – vergeblich

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Als neues nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates wird Deutschland heute erstmals an Beratungen des höchsten UN-Gremiums zum Irak teilnehmen. An einen einführenden mündlichen Vortrag von Hans Blix, Chef der UNO-Waffenkontrollkommission Unmovik, zu Verlauf und Ergebnis der seit Ende November stattgefundenen Inspektionen von knapp 300 zivilen und militärischen Objekten im Irak sowie zur Bewertung des irakischen Rüstungsberichtes an den Rat (siehe taz von gestern), wird sich eine Aussprache der 15 Ratsmitglieder anschließen. Auch Berlins Botschafter Gunter Pleuger dürfte dabei das Wort ergreifen.

Die Grundlage für eigenständige deutsche Bewertungen sind allerdings weiterhin erheblich eingeschränkt. Der irakische Rüstungsbericht liegt der Bundesregierung wie auch den Regierungen der anderen neun nichtständigen Ratsmitglieder nach wie vor lediglich in einer von knapp 12.000 auf rund 3.500 Seiten reduzierten Kurzfassung vor. Die öffentliche Ankündigung von Außenminister Joschka Fischer von Mitte Dezember, man könne „davon ausgehen, dass die Bundesregierung von ihren westlichen Bündnispartnern im Rat Einblick in die vollständige Fassung des Berichtes erhält“, ist zumindest bislang nicht Realität geworden. Nach Informationen der taz haben weder die USA noch Frankreich und Großbritannien Deutschland bisher Einblick in ihre vollständigen Kopien des Berichtes gewährt.

In New York wird nicht damit gerechnet, dass US-Botschafter John Negroponte in der heutigen Sitzung die scharfe Bewertung seiner Regierung des irakischen Rüstungsberichts vom 19. Dezember wiederholen wird. Negroponte und US-Außenminister Colin Powell hatten den Bericht damals als „substanziellen Verstoß“ der UN-Resolution 1441 gewertet, weil die Regierung in Bagdad darin den Besitz von Massenvernichtungswaffen und aktiven Rüstungsprogrammen verschweige.

Für die größere Zurückhaltung der USA gibt es eine Reihe von Gründen: Die UN-Inspektore haben inzwischen einen Großteil der konkret von Washington und London erhobenen Vorwürfe vor Ort überprüft und keine Bestätigung für sie gefunden. Auch hat sich bislang nicht die in Washington zum Teil sehr offen gehegte Erwartung bestätigt, über die vor allem von der Bush-Administration verlangten Befragungen irakischer Wissenschaftler im Ausland könnte es zu einer Konfrontation zwischen Bagdad und der Unmovik kommen, die sich dann als eine Behinderung der Inspektionen einstufen ließe. Seit der Ratssitzung vom 19. Dezember hat sich daher innerhalb der Bush-Administration die Einschätzung verstärkt, dass es nach dem für den 27. Januar vorgesehenen ersten umfassenden Bericht von Blix keine Mehrheit für eine zweite Sicherheitsratsresolution mit einer ausdrücklichen Ermächtigung zu einem Krieg gegen Bagdad geben wird.

Die britische Regierung hat Washington in den letzten Tagen deutlich signalisiert, sie werde die USA bei einem militärischen Alleingang gegen Irak ohne eine zweite UNO-Resolution nicht unterstützen. „Solange Irak nicht substanziell gegen die Resolution 1441 verstößt und die Inspektionen ungehindert fortgesetzt werden können, gibt es keinen Grund für militärische Maßnahmen“, erklärte der britische Außenminister Jack Straw in einem Interview. Eine entsprechende Haltung bekräftigte am Mittwoch die französische Regierung durch ihre Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie. Und die Türkei macht eine zweite Resolution des Sicherheitsrates zur ausdrücklichen Vorbedingung für die Gewährung von Überflugs- und Nutzungsrechten für US-amerikanische Streitkräfte.

Im Kontrast zur leichten Entspannung an der diplomatischen Front steht die weitere Verstärkung der militärischen Drohkulisse gegen Irak vor Ort. Das zuständige US-Zentralkommando schickt nun 1.000 seiner wichtigsten Kriegsplaner nach Katar. Bereits jetzt sind 65.000 US-Soldaten in der Region und täglich treffen tausende neue ein. Bis Ende des Monats dürfte die US-Truppenstärke auf über 100.000 angewachsen sein, und auch in Großbritannien und Frankreich wird mobilgemacht. So entsteht zunehmend der Eindruck einer unter den Hauptbeteiligten in Washington, Moskau, London und Paris abgestimmten Doppelstrategie mit dem Ziel, das Regime von Saddam Hussein durch militärische Einschüchterung auch ohne Krieg zum Abtritt zu zwingen.