EU-Kommission setzt letzte Frist

Deutschland und andere von der EU offiziell gerügt, weil sie laut dem Stabilitätspakt ein zu hohes Haushaltsdefizit haben. Weil sich die Mitglieder selbst kontrollieren, gibt es Chancen für die Bundesregierung, mit blauem Auge davonzukommen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die EU-Kommission hat gestern die Stabilitätsprogramme von sechs der fünfzehn Mitgliedsstaaten bewertet. Lediglich Finnland und Schweden werden wegen ihres stabilen Haushaltsüberschusses gelobt. Den ande-ren vier – Griechenland, Italien, Frankreich und Deutschland – wird bescheinigt, dass sie ihre Sparziele nicht erreichen werden und von zu optimistischen Wirtschaftsdaten ausgehen.

Wenn der konservative Europa-Parlamentarier Werner Langen dies als „wirtschaftspolitischen Offenbarungseid“ für die deutsche Bundesregierung bezeichnet, lässt sich das nicht als Wahlkampfpolemik abhaken. „Noch nie ist eine deutsche Regierung für ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik in solch einer vernichtenden Weise abgewatscht worden“, behauptet Langen. Die Fakten geben ihm recht. Die Kommission stellte gestern fest: Die Neuverschuldung liege inzwischen deutlich über drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Auch in Frankreich bestehe für 2003 diese „Gefahr“.

Die Kommission empfiehlt dem Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, der am 21. Januar zusammentritt, das deutsche Stabilitätsprogramm für den Zeitraum 2002 bis 2006 als unzureichend zu bewerten. Der Rat soll der Bundesregierung „weitreichende Reformen“ nahe legen, um das strukturelle Defizit zu beseitigen. „Die deutsche Wirtschaft ist trotz ihrer Größe nach wie vor höchst verwundbar gegenüber externen Schocks“, urteilt die Kommission. Daher müsse ein dauerhafter interner Wachstumsprozess in Gang gesetzt werden. Das sei nur möglich, wenn der Arbeitsmarkt sowie die Sozial- und Leistungssysteme reformiert würden. Außerdem müsse der Vorschriftenwust reduziert werden, der die Wirtschaft behindere. „Bleiben energische Reformen aus, so wird Deutschland nicht auf die Herausforderung der Bevölkerungsalterung vorbereitet sein“, sagt die Kommission voraus.

Die PDS-Abgeordnete im Europaparlament Sylvia-Yvonne Kaufmann hat die Kommissionsvorschläge scharf kritisiert. Einsparungen im Sozialbereich träfen die Ärmsten in der Gesellschaft und seien außerdem kontraproduktiv, da die Binnennachfrage weiter geschwächt werde. Stattdessen sollten öffentliche Investitionen bei der Berechnung der Neuverschuldung ausgeklammert werden. Damit würde der schwachen Konjunktur wirksam begegnet.

Folgt der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister am 21. Januar den Empfehlungen der Kommission, wird er mit qualifizierter Mehrheit feststellen, dass in Deutschland ein übermäßiges Defizit besteht. Er kann außerdem Wirtschaftsreformen empfehlen, die er aber nicht veröffentlichen muss. Sollte die Bundesregierung ihr Stabilitätsprogramm nicht entsprechend diesen Ratschlägen ergänzen, sind im EU-Vertrag Sanktionen vorgesehen. Der Rat kann dann beschließen, dass jede neue staatliche Anleihe dem Gremium vorgelegt werden muss. Er kann eine unverzinsliche Einlage festsetzen, die erst zurückgezahlt wird, wenn das übermäßige Defizit abgebaut ist. Wenn auch das nichts fruchtet, kann er sogar eine Geldbuße verhängen.

Für derartige Sanktionen sind zwei Drittel der gewichteten Stimmen der Ratsmitglieder nötig. Stimmen des betroffenen Landes werden dabei nicht berücksichtigt. Zwei der großen Staaten – etwa Frankreich und Italien – könnten gemeinsam mit Portugal oder Griechenland den Beschluss blockieren. Da bereits vier EU-Länder von der Kommission schlechte Zensuren bekommen haben und die übrigen ähnlich schlechte Daten vorweisen, steigen die Chancen für Deutschland, mit einer Abmahnung davonzukommen.