Wie politisch ist Musik?

Ein Künstlerroman um Pablo Casals: „Der Bogen des Cellisten“ von Andromeda Romano-Lax

Andromeda Romano-Lax lebt in Alaska. Als Journalistin war sie auf das Verfassen von Reise- und Wanderführern spezialisiert, war viel in der Region unterwegs und schrieb über Umweltprobleme. Doch nach dem 11. September 2001 reichte das alles nicht mehr. Durch die Ereignisse aufgerüttelt, beschloss die Autorin, Prioritäten neu zu setzen und stärker persönlichen Neigungen zu folgen. Sie fuhr nach Puerto Rico, um sich auf die Spuren des 1973 dort verstorbenen katalanischen Cellisten Pablo Casals zu begeben, dessen Biografie sie schreiben wollte. Casals war sowohl als Musiker zu Weltberühmtheit gelangt als auch zeit seines Lebens bekannt gewesen für seine aufrechte politische Haltung und sein Engagement gegen Franco. Romano-Lax forschte in Archiven, nahm Cellounterricht, reiste nach Spanien.

Im Zuge der Recherche stieß sie auf so viele Seitenstränge der Geschichte, die sie schreiben wollte, dass sie ihren ursprünglichen Plan schließlich änderte und statt eines Sachbuchs einen Roman schrieb. Dieser handelt nun allerdings nicht von Pablo Casals, sondern von einem Cellisten namens Feliu Delargo, dessen grobe Lebensumrisse dem Leben Casals’ entliehen sind. Die wichtigste Nebenfigur wiederum, der beleibte, sinnenfrohe Pianist und Komponist El Nene, der im Roman als Gegenstück zum besonnenen, kontrollierten Delargo auftritt, ist inspiriert von Casals’ katalanischem Landsmann Isaac Albéniz, der in der Realität mehrere Jahrzehnte früher lebte als seine Nachbildung im Roman. Andere real existiert habende Persönlichkeiten geben als sie selbst kurze Gastspiele, darunter Pablo Picasso, Kurt Weill, Franz Werfel und viele andere. Wie jeder klassische historische Roman ist auch dieser ein Konglomerat aus Verbürgtem, Imaginiertem und frei Erfundenem. Das disparate Quellmaterial verbindet Romano-Lax zu einem intelligenten, souverän erzählten Entwicklungsroman und liefert dazu einen komprimierten Abriss spanischer Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in den Bürgerkrieg hinein.

Da Feliu Delargo als sehr politischer Mensch porträtiert wird, spielt der historische Hintergrund eine für einen Künstlerroman ungewöhnlich große Rolle. Der Weg, den das begabte Kind zurückzulegen hat, bis es zum großen Musiker und verantwortungsvoll handelnden Menschen geworden ist, wird bei Romano-Lax überzeugend in den äußeren Geschehnissen gespiegelt. Die Frage, inwieweit ein Musiker sich politisch engagieren kann oder muss, treibt die Figur von Beginn an um und stürzt Delargo als jungen Mann, der sich vom Günstling der Königin zum Kritiker der Monarchie wandelt, in heftige Konflikte. Dabei schafft die Autorin es, aus ihrer Hauptfigur bei aller moralischen und künstlerischen Vorbildhaftigkeit einen echten, weil auch zweifelnden und in Liebesdingen ziemlich glücklosen Menschen zu machen. Ein künstlerisch-menschliches Dreiecksverhältnis zwischen Delargo, El Nene und einer jungen Geigerin endet tragisch – und sorgt dafür, dass der Roman auf einem ziemlich melodramatischen Akkord ausklingt. Immerhin lässt sich durchaus nachvollziehen, dass die Autorin nach fast 600 dicht erzählten Seiten das Gefühl hatte, einen dramaturgischen Höhepunkt zu brauchen, um mit gutem Grund Schluss machen zu können.

Weitaus bedauerlicher ist der thematische Mangel an Musik in diesem Musikerroman. Natürlich wird viel Komponisten-Namedropping betrieben, auch die Bach’schen Cellosuiten (die Casals als erster Cellist komplett einspielte) finden häufige Erwähnung. Doch die Musik selbst bleibt weitgehend unbeschrieben, was die große innere Bindung des Musikers an sein Instrument und seine Kunst enttäuschend unerläutert lässt. Der vom früh gestorbenen Vater ererbte Cellobogen, der für den Romantitel verantwortlich ist und den Delargo durch alle Fährnisse des Jahrhunderts rettet, soll offenbar auf vage tiefenpsychologische Weise von der Unerschütterlichkeit dieser Bindung überzeugen. Doch der Bogen bleibt nur ein emblematisches Symbol und ersetzt nicht das Schreiben über Musik selbst.

Vielleicht hat ja Musik in einem politischen Künstlerroman keinen Platz, da sie nicht politisch ist? Delargo wäre da anderer Ansicht. Oder sollen nur die Leser nicht mit Spezialwissen gelangweilt werden? Eine mögliche Scheu der Autorin, einem genialen Musiker die eigenen, notwendigerweise banaleren Ansichten über Musik in den Mund zu legen, mag auch eine Rolle gespielt haben. Dann aber war es von Anfang an zu mutig, ausgerechnet der Hauptfigur die Rolle des Erzählers zu übertragen. Denn dass dieser so eloquent über alles Mögliche reflektiert, nur über die Musik nicht, mutet seltsam an. So findet sich im tiefsten Innern dieses sonst so anregenden politisch-historischen Künstlerromans eine doch etwas enttäuschende Leerstelle. KATHARINA GRANZIN

Andromeda Romano-Lax: „Der Bogen des Cellisten“. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer. Bloomsbury Berlin, 2008, 639 S., 22 Euro