Burgen, Sklaven und Bremer Provinzfürsten

Das Bremische Jahrbuch 2002 ist ein gediegenes Kompendium – keine leichte Literatur. Ein Schinken für Historiker eben, könnte man meinen. Doch zwischen den Zeilen brummt das quirlende Leben vergangener Zeiten – von dem sich so manches Bedenkliche bis zum heutigen Tag fortsetzt

„Der weltstädtische Anspruch scheiterte zumeist an der Provinzialität der Durchführungen“

Burgen in Bremen? Die Muggenburg jedenfalls war keine. Im gleichnamigen Gässlein im Stephanieviertel brummten nur die Mücken. Auch die Marterburg im Schnoor war nur ein Steinhaus, von dessen Dach herunter aber 1844 immerhin die damals feindlichen Ungarn mit Ziegeln beworfen wurden. Gemartert eben. Und wer nach Bremen-Burg im Großen Bremen-Lexikon von Herbert Schwarzwälder sucht, stößt allenfalls auf die Kirche am Berg. Keine Spur von Burg. Wäre nicht Adolf Hofmeister, Archivdirektor am Bremer Staatsarchiv, wir hätten nie erfahren, dass Bremen reicher an Burgen war.

Ausgerechnet im platten Seehausen stand eine. Unweit der heutigen Kläranlage, aus den Wiesen hinter der Weser erhob sie sich als vermutlich durch Gräben gesichertes quadratisches Bauwerk.

Viel geholfen hat es den Burgherren nicht. Im 13. Jahrhundert zogen die aufständischen Stedinger Bauern gegen die „von Seehausen“ zu Felde. Nur von Burgresten war später noch die Rede. Das hat Hofmeister rekonstruiert – in einem eher speziellen Beitrag über „Die Herkunft Bernhards von Seehausen und die Kolonisation in Niedervieland“, erschienen im jüngsten Bremischen Jahrbuch 2002, mit neun anderen großen geschichtlichen Beiträgen, insgesamt 280 Seiten Glanzpapier in rotes Leinen gebunden – mit viel zu wenigen Bildern.

Keine leichte Lektüre also. Keine Seite ohne Fußnoten. Aber ein historischer Rückblick ist eben kein Sonntagsspaziergang und wer wirklich will, kann sogar ohne Geschichts-Leistungskurs das eine oder andere aufschnappen, was sich weiterzuerzählen lohnt.

Piratengeschichten beispielsweise, die der ehemalige Leiter des Staatsarchivs, Hartmut Müller – gut verpackt in „Bremen und die Türken zur Zeit des Osmanischen Reiches“ – preisgibt, eingebettet in die vergangene Furcht der Bremer vor „dem Erbfeind des christlichen Nahmens, den Türcken und seinen blutgierigen Anhang“. Dafür haben die Bremer einstmals Sondersteuern gezahlt – für Kreuzzüge und Kriege. Dreihundert Jahre später, im 16. und 17. Jahrhundert, waren sogar versklavte und verkaufte Bremer Seeleute der Gesprächsstoff, der Angehörigen, Sensationslüsternen und sogar Ratsleuten Schauer über die Rücken jagte. Denn Bremer Schiffe, beladen mit Kamelhaar, Reis, Öl, Rosinen und Kattun waren von „2 turchische Raubschiffe als der fliegende Fisch mit 30 stücken und der Halbe Mond mit 24 stücken auch beide woll bemannet mit Musquetirern“ im Mittelmeer aufgebracht worden. Kein speziell türkisches Geschäft, die Seeräuberei im Mittelmeer, wie Autor Müller betont. Aber doch legendär – und schrecklich für die geraubten Seeleute, die vielfach jahrzehntelang in Sklaverei gehalten wurden, wenn nicht die Bremer Ratsherren einschritten, um die Geschundenen bisweilen freizukaufen. Ein fast vergessenes und längst überwundenes Kapitel Geschichte, wie Müller angesichts von Millionen deutschen Türkeiurlaubern und der Bremer Städtepartnerschaft mit Izmir betont.

Provozierend wagt sich in dem Buch nur Handelskundler Hartmut Roder aus der historischen Reserve. Schon der Untertitel „Bremen – ein notorischer Spätzünder“ seines Rückblicks auf die letzten 150 Jahre Bremer Wirtschaft verrät einen kritischen Ansatz: Bremen habe sich immer „nachholend entwickelt“, belegt er dann tatsächlich an Beispielen. Doch sei Bremen – auch wenn der Veränderungsdruck im seewärts orientierten Stadtstaat meist von außen kam – nicht notorisch unbelehrbar gewesen, schreibt Roder. Irgendwann habe die Stadt, und auch das sei typisch gewesen, ihr „abwartendes Zuspätkommen“ in einem Kraftakt aufgeholt. Doch nun seien die stabilen Zeiten endgültig vorüber, mahnt der Historiker fast drohend: „Der weltstädtische Anspruch scheiterte zumeist an der Provinzialität der Durchführungen.“ Nur Menschen mit Visionen könnten zeitgemäße Antworten geben. Ganz unmöglich sei das nicht. Roder: „Auch in einem ‚Dorf mit Straßenbahn‘ kann man an Ziele gelangen.“ ede

Bremisches Jahrbuch 2002, 23 Euro, im Buchhandel erhältlich