Held Claudius

Das „Theater aus Bremen“ gibt den Hamlet in einer unverfroren respektvollen Bearbeitung

Nichts passt zusammen. Das war schon immer so bei Hamlet: Regelritter bemängelten noch lange das Fehlen der drei Einheiten, das Durcheinander von Liebes-, Wahnsinns- Rachedrama. Und erst dieser ambivalente Held! So gerät ja alles aus den Fugen.

Das Theater aus Bremen (TAB) hat am Mittwoch seine Hamlet-Version im Bürgerhaus Weserterrassen vorgestellt. Und diese schärft noch die widerstrebenden Konturen, überzeichnet sie, spielt lustvoll mit Anachronismen: Nichts passt zusammen. Und doch wirkt „Hamlet nach Hamlet“ wie aus einem Guss.

Das muss an den Figuren liegen: Zum Beispiel der Hausvater Polonius. Den gibt Karin Winkler. Unnachahmlich vertrottelt, Gram gebeugt, seiernd, aber nicht nur vom fatalen Niesen, sondern auch von plötzlichen Einsichten mörderisch geschüttelt. Phänomenal. Oder der Claudius. Den Aufsteiger qua Brudermord spielt Peter Kaempfe unverhohlen bruce-willisierend: Ein softer harter Kerl, der langsam spricht. Grübelt er? Lähmt die Muskulatur die Zunge? Ist sie tränenschwer? Dass er den kriegstreibenden König eliminiert, ist unfein. Aber verständlich: Claudius ist hier kein Unsympath. Er ist fast ein Held, ein tragischer, ein komischer, der sich in seiner Intrige verspinnt, verheddert, erdrosselt.

Mehr Held zumindest als dieser Hamlet: Andrea Zogg spielt den Dänenprinzen als einen Offizier in der Midlife-Crisis, angekränkelt nur von frustriertem Ehrgeiz, nicht von des Gedanken Blässe. Den Sein-oder-Nichtsein-Monolog? Zogg raunzt ihn von der Rampe wieeine Ansprache des Kompanieführers.

Ja, das TAB zerschlägt Shakespeare ein bisschen, um seinen Hamlet zu machen: Wie anders wär’s möglich 25 Personen + Komparserie auf drei Darsteller, 150 Buchseiten auf knapp zwei Stunden zu komprimieren? Jeder spielt vier, klar, Szenen streichen auch klar: Kein Totengräber, keine Ratsherren, das schafft Luft. Doch weder beschränkt sich das Ensemble aufs Nötigste – das wäre armselig – noch entfernt es sich vom Autor: Es radikalisiert ihn, unterstreicht Brüche und Brüchigkeiten seines Theaterkosmos. Unverfroren respektvoll.

Zugegeben, der prollige Laertes gerät Zogg zu platt; umso besser dafür die nicht minder klamaukhaften Männlichkeitsrituale von Hamlet (auch Zogg) und Freund Horatio (Kaempfe).Und auch die dazu erfundene Kabarettfigur des Hausmeisters Olsen (Kaempfe) erweist sich als elegante Lösung eines dramaturgischen Problems: Staubsauger schwingend referiert er das Schlussgemetzel: Lachhaft? Zweifellos. Lächerlich aber, wäre im nicht besonders erhabenen Ambiente der Spielstätte ein pathetisches Ende gewesen.

Und doch, auch einen ausgesprochen ergreifenden Moment erlaubt sich die Inszenierung. Den verschafft ihr – ausgerechnet –der kühnste Einschnitt: Ophelia bleibt unsichtbar. Wie die Staats- so versagt sich auch die Privat-Katastrophe der Bühne. Und findet doch statt. Im Spiel Karin Winklers spiegelt sich der Wahn: Als Königin Gertrud nämlich auf der Suche nach Ophelia, irrt sie durch den Raum, den Blick starr zum Publikum gewandt. Und – sei’s als böse Parodie, sei’s als Infektion – in ihren Augen glüht’s.

Benno Schirrmeister

Hamlet, Bürgerhaus Weserterrassen, nur noch heute, 20 Uhr.