Die Peking-Oper hat den Blues

Bloß kein Ethnoshopping, bloß keine weich gespülte Authentizität. Im Haus der Kulturen der Welt will das Festival Transonic die Begegnung der Kulturen neu instrumentieren

Ist ein hübsches Modell, wie sich Gene Coleman das Haus der Kultur vorstellt. Sozusagen eine Zweiraumwohnung: In dem einen Zimmer sitzen die Traditionsbewahrer, die dafür sorgen, dass da die traditionellen Werte nicht gleich bei jedem Schlussverkauf außer Haus gebracht werden. Also Stichwort Kontinuität. Während nebenan experimentell die Traditionsstränge immer neu geflochten werden. Zielorientierung Transformation. Und Gene Coleman, der Komponist, Klarinettist und bildende Künstler, ist schon der Meinung, dass zwischen den beiden Räumen ab und zu die Tür aufgemacht werden muss, um etwas Durchzug zu schaffen.

Als Kurator der neuen musikalischen Versuchsplattform „Transonic“ im Haus der Kulturen der Welt, die heute eröffnet wird, will er dafür sorgen und sich dabei nicht groß um die traditionelle Einteilung von Musik in die Schrebergärten der Genres kümmern. Also wird wieder mal alles möglich? Mit Einschränkungen. Jedenfalls will Transonic kein Ethnoshopping sein. Kein weiterer Verkaufsstand für bunt geknüpfte Folkloredecken, wie man sie so gern in den Touristenbüros und auf Weltmusikständen handelt. Da scheint die Authentizität immer frisch mit Sagrotan abgewaschen. Auch kein fröhlicher Kulturcocktail soll Transonic werden, für den etwa nach bewährtem Rezept zwei Teile Jazz mit einem Teil Indien in den Fusionmixer kommen. Um dann „Kulturaustausch“ als Etikett dranzukleben.

Trotzdem hofft man eben auf Verständigung, über Grenzen hinweg. Auch bei Transonic spart man nicht an dem Ideal einer Gesprächssituation zwischen gleichberechtigten Partnern, wenn da der experimentelle Raum zur idealen Voraussetzung einer „bedingungslosen Begegnung“ erklärt wird, „vergleichbar der von Frantz Fanon beschriebenen Tabula rasa der postkolonialen Position“. Das aber könnte mit den selbst gesteckten Zielen des Festivals ins Gehege geraten. Denn untersucht werden soll, was eigentlich unter „westlicher Kultur“ zu verstehen ist. Auch das Projekt der Moderne, revisited. Und die Moderne verleibte sich in ihrem Expansionstrieb gern allerlei Novitäten ein, nicht zuletzt über die Avantgarden.

Über die Paarung Japan/John Cage will man so in mehreren Konzerten die wechselseitigen Beziehungen zwischen Ost und West musikalisch untersuchen. Bekannte Namen aus den experimentellen Niemandsländern wie Otomo Yoshihide, der sich nach seinen Krachuntersuchungen mit Ground Zero mittlerweile genauso radikal der Stille nähert, oder der Computerspezialist Carl Stone stecken bei Transonic bis zum 30. Januar weiteres Terrain ab.

Zum Auftakt des Festivals am heutigen Freitag im Haus der Kulturen der Welt aber gibt es mit Liu Sola gleich eine Künstlerin zu hören, die geradezu idealtypisch alle Positionen in sich vereinigt, wie sie Gene Coleman in seinem Kulturmodell präsentierte. Geboren 1955 als Tochter einer Offiziersfamilie in der Volksrepublik China, weiß sie noch von den Wirren der Kulturrevolution. Sie studierte Klavier und Komposition. Kennt die klassische chinesische und westliche Musik. Mitte der Achtziger gründete sie eine Frauenrockband und entdeckte 1987 in den USA schließlich ihre Leidenschaft für den Blues, den sie wieder mit Elementen der Peking-Oper spiegelt.

Natürlich eine musikalische Wanderschaft, die man gar nicht verallgemeinern möchte; denn schon die Vorstellung, eine Milliarde Chinesen spielen den Chicago-Blues, ist die Hölle. Aber eben höchst interessant als individuelle Standortbestimmung. Gerade auf Einzelstimmen setzt man auch bei Transonic. Individualisierung, bei höchster Flexibilität. Was doch schon wieder ein getreuliches Abbild der Anforderungen unserer Zeit ist.

THOMAS MAUCH

Transonic-Programminfo: www.hkw.de