Das Loch wartet schon

Lernen Sie Wasser sparen dank Duschzuteilung. Eine trübe Odyssee durch Neukölln und Kreuzberg, auf der Suche nach der billigsten Wohnung Berlins

von AYGÜL CIZMECIOGLU

„Duschen können Sie auch bei mir“, sagt die alte Hausbesitzerin in der grünen Jogginghose. Sie sei, seit die Kinder aus dem Haus sind, doch ziemlich allein. Von Familienanschluss stand eigentlich nichts in der Wohnungsanzeige. Die Information „1 Zi-Whg., 37 qm, Sou., OH, 110 Euro“ war schon ausreichend, um chronisch bankrotte StudentInnen und arbeitslose Mitvierziger in einer Kellerwohnung in der Baerwaldstraße zu versammeln. „Ich will unbedingt nach Kreuzberg ziehen“, sagt eine Rothaarige, die offensichtlich aus Süddeutschland kommt. Doch dieses dunkle Loch hinter dem Fahrradkeller will so gar nicht zu dem Bild des bunten Multikultikiezes passen. Der braun melierte PVC-Fußboden zerfleddert schon an den Rändern, und die einzige Fensterluke bietet Aussicht auf eine graue Häuserwand. „Kann man sich irgendwo eintragen“, fragt einer der Männer. Ihn stört es nicht, dass es keine Dusche, kein Abzugsrohr für die Ofenheizung und dafür jede Menge Schimmelspuren in der reinigungsbedürftigen Toilette gibt. Langsam füllt sich die Bewerberliste mit Namen. „Freischaffender Künstler“ trägt einer in die Berufsspalte ein. „Es gibt weitaus Schlimmeres“, sagt er, meine skeptischen Blicke bemerkend. Ich solle mal nach Neukölln oder in die toten Winkel vom Prenzelberg gehen. Da müsse man sich für denselben Preis die Außentoilette mit drei Mietparteien teilen.

Mit zweien, wie ich bald erfahre. „Alles nur Studenten“, wie der gestresste Immobilienmakler in der Jablonskistraße versichert. Der Weg in die Wohnung führt durch ein ziemlich dunkles Treppenhaus. Türschilder und Klingeln existieren nur noch rudimentär. Ein ekliger Uringeruch liegt in der Luft. Die Wohnung, 41 qm, Elektroheizung, „im Herzen vom Prenzlauer Berg“: 136 Euro. Von den klapprigen Fenstern, durch die der kalte Wind weht, sieht man auf die Tristesse eines Innenhofes mit Mülltonnen. In der Küche steht eine Aufpumpdusche mit einem Duschvorhang, der einmal lila gewesen sein muss. „Gibt’s warmes Wasser?“, fragt weitsichtig eine Frau mit schwarz lackierten Fingernägeln. „Nur wenn sie sich Münzen bei der Hauswartin holen“, entgegnet der Makler. Sieben Minuten könne man dann warm duschen. Wäre ja sowieso viel ökologischer, bei all dieser Wasserverschwendung. Schufa-Auskunft, Schreiben vom Amtsgericht und eine Bürgschaft von den Eltern will er haben. Plus jeweils drei Monatsmieten Kaution und Provision.

Nach so vielen Zumutungen, werfe ich meine Pläne, mich zentral niederzulassen, über Bord. Steglitz ist doch auch ganz nett. „AB, Kf-Whg, 54 qm, Bestzust., EBK, MaBd, SW-Bk, Pk“, lautet die Beschreibung im Tagesspiegel. 114 Euro warm, keine Kaution, keine Provision. Man muss nicht naiv sein, um solch einer Annonce Glauben zu schenken. Es reicht, sich durchnässt und deprimiert einen Sonntagnachmittag lang durch die Abgründe der Berliner Wohnungslandschaft bewegt zu haben. Statt Resignation lodert eine komische Hoffnung in einem auf, dass es sie doch gibt, die Gutmenschen, die unbedingt ihre vollsanierte Altbauwohnung zu einem Spottpreis abgeben wollen.

Von diesem Wunsch getrieben, haben sich dann auch schon gut 60 Menschen vor dem Backsteingebäude eingefunden. Verwundert schlendert man durch das helle Marmorbad, die volltechnisierte Küche und die großen Zimmer mit Stuckdecke. „Ach ja, die Fußbodenheißung haben sie vergessen, in die Anzeige aufzunehmen“, sagt freundlich ein älterer Herr im dunklen Anzug. Die ersten drehen sich schon um und gehen. Ich kann mir die Peinlichkeit nicht verkneifen. „Und das alles für 114 Euro“, frage ich. „Wollen sie mich auf den Arm nehmen? 1.140 Euro warm, plus 60 Euro, wenn sie den carport haben wollen“, erwidert der nicht mehr ganz so nette Herr. Eine vergessene Eins zertrümmert meine Wunschfantasien. Auf dem Rückweg komme ich an einem Werbeplakat vorbei. „Lebe deinen Traum!“, steht da in großen Lettern.