die heizperiode: ein drama (teil 2 aus aktuellem anlass)
: WALTRAUD SCHWAB erzählt aus dem Leben von Ofenheizerinnen

„Steinzeitmädchen sind wir geworden“

„Cool ist, wer was Uncooles tut.“ So lautet die derzeitige Anleitung für die, die „in“ sein wollen. Auf mich trifft das hundert Prozent zu, denn ich habe Ofenheizung. „Wenn du anheizt, dann machst du was Uncooles, deshalb bist du cool“, provoziert meine Freundin. Nicht die, die im Sommer mit mir zusammen im Park vor abgebrochenen Ästen stehen bleibt und sich fragt, warum sie keinen Korb mitgebracht hat, um sie einzusammeln als Anmachholz für den Winter, sondern die, die mit Gas heizt. „Und wie cool ich dann bin“, lautet die resignierte Replik, denn die Frage hat sie bei 15 Grad minus gestellt.

Ofenheizung bei minus 15 Grad ist ein Kapitel für sich. Darüber geht dieser Bericht. Er ist für Leute geschrieben, die in den verbliebenen 95.000 ofenbeheizten Wohnungen wohnen, Leerstand mitgezählt, die es laut Senatsverwaltung noch gibt. Also für jemanden wie meine Freundin und den Transvestiten im Hinterhof und mich. Auch für die alte Nachbarin aus dem ersten Stock. Die, die immer sagt: „Im Krieg war es schlimmer. Und damals, 1944, waren alle Fenster kaputt.“ Heute hat sie gut reden. Ihr Enkel, ein Bär, Gewichtheber beim Henningsdorfer Ringerverein, schleppt ihr die Kohlen. In jeder Hand einen halben Zentner gebündelt. Wenn wir Treppen steigen, haben wir in jeder nur ein Viertel davon. Es reicht fürs Anheizen morgens. Bei solchen Temperaturen ist das niemals genug.

Man soll nicht undankbar sein, sagt der Transvestit, der normalerweise im Winter gar nicht heizt, sondern wegfährt, weil ihm der Hinterhof zu verraucht ist. Normalerweise heißt, wenn er einen Liebhaber hat, der ihn auf die Kanaren einlädt. Der Transvestit ist anpassungsfähig, deshalb ist es ihm meistens gelungen. Nur diesen Winter nicht. „Warum hab ich mich nicht besser angestrengt“, seufzt er. Weil er ein positiver Mensch ist, gewinnt er der Kälte das Beste ab: „Immerhin ziehen die Öfen gut. Bei den Temperaturen qualmt keiner.“ Genug der Dankbarkeit. Ab hier beginnen die Leiden. Er zeigt auf den Nagel seines kleinen Fingers. „Abgebrochen beim Heizen.“ Kokett dreht er sich in den Hüften. „Wie viel Grad machst du?“, will ich wissen. „Morgens zehn, mittags achtzehn, nachts dreizehn. Nur wenn Besuch kommt, heize ich mehr. Aber es kommt niemand.“

Alles ist eine Konstitutionsfrage. Ich halte es bei 17 Grad aus. Meine Freundin braucht 25. Zur Aufmunterung liest sie Bücher über Menschen, die im Winter Tibet durchwandern. „Würde ich in Sibirien leben, würde ich Tag und Nacht arbeiten, nur mit dem einen Ziel vor Augen, von dort wegzukommen.“ Sie sagt es, als sie in der unbeheizten Küche steht. Küchen sind die Schwachstelle in Ofenheizungswohnungen. Vor allem wenn noch Kochmaschinen drin sind, diese gekachelten Feuerstellen, auf denen früher gekocht wurde. Seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt, gelten sie dennoch als Heizquelle. Für eine andere muss der Vermieter nicht sorgen. Elektroradiatoren schaffen Abhilfe. Unserer ging genau in jenem Moment kaputt, als meine Freundin im Bad die Heizspirale an- und den Durchlauferhitzer auf 55 Grad einstellte. Der hat die Attacke auch nicht überstanden. Seither gibt es nur kaltes Wasser. Die Segnungen der Zivilisation sind eine Schimäre.

Der Tagesablauf von Ofenheizungswohnungsmieterinnen beginnt bei solchen Temperaturen am liebsten gar nicht. Vom Bett aus alles erledigen: ein Traum. Die Öfen sind über Nacht abgekühlt, die Zimmer sowieso, weil die Türen zur Küche nicht geschlossen sein dürfen. Die Erstaufsteherin hat es am schwersten. Das Arbeitsleben verteilt das Los. Es trifft meine Freundin. „Ich bin eine Eidechse“, ruft die in die Kältestarre Gefallene in den noch dunklen Morgenhimmel. In Decken eingewickelt rast sie zum Herd. Wasser aufsetzen. Tee kochen. Die Hände an der Tasse wärmen. Solange der Kühlschrank sich nicht abgestellt hat, weiß sie: Noch ist es im Eisschrank kälter. Ein Trost. Bedeutet es doch ebenfalls, dass die Wasserleitungen nicht eingefroren sind. Das gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Es hätte unweigerlich einen Rohrbruch zur Folge, den wir verschuldet hätten.

„Steinzeitmädchen sind wir geworden“, sagt meine Freundin. Überall Asche und Dreck. „Wir müssen das Feuer hüten. Früher wäre das einem Beruf gleichgekommen. Wir hätten Macht gehabt.“ Nicht so in Zeiten der Kohlenanzünder. Obwohl es gilt, wie ein Luchs aufzupassen, dass der Moment nicht verpasst wird, in dem die Briketts rot glühen und die Öfen zugemacht werden können. Eine Stunde Wachsamkeit. Ich verbringe sie im Bett, ich bin die Heizerin morgens. Einschlafen verboten.

Teil 1 erschien schon am 9. 10. 2002