China drängt ins Weltall

Der erfolgreich verlaufene Testflug von Shenzhou IV war die letzte Probe. Schon beim nächsten Start einer Shenzhou-Raumkapsel, voraussichtlich noch in diesem Jahr, soll es so weit sein: China will den ersten Taikonauten ins Weltall befördern

Die Testpuppe wurde wie ein lebender Volksheld empfangen

von KENO VERSECK

Die chinesische Raumfahrt begann lange vor Sputnik und Apollo, nämlich als im Abendland gerade das Mittelalter endete – vor 500 Jahren. Damals, so will es eine chinesische Legende, band sich der Gelehrte Wan Hu Feuerwerksraketen um Bauch und Beine, um in den Himmel zu fliegen.

Auch wenn chinesische Medien, die Wan Hus Geschichte gern erzählen, über das weitere Schicksal des Gelehrten nichts verraten, so dürfte er wohl schon die Startphase seiner Himmelsmission nicht gesund überstanden haben.

Der erfolgreiche Raumflug und die sichere Rückkehr eines Chinesen aus dem All sollen nun in diesem Jahr stattfinden, wie Raumfahrtfunktionäre des Landes in den letzten Tagen mehrfach verkündeten, voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte, möglicherweise sogar vor dem Revolutionsfeiertag im Oktober. China wäre damit nach der ehemaligen Sowjetunion und den USA das dritte Land der Erde, das in der Lage ist, Menschen ins All und zurück zu befördern.

Vier Testflüge für einen bemannten Weltraumflug hat China bisher unternommen, den jüngsten davon letzte Woche. Eine Rakete des Typs „Langer Marsch 2F“ beförderte „Shenzhou“, zu deutsch: das „göttliche Schiff“, vom chinesischen Raumfahrtzentrum Jiuquan in der Wüste Gobi am 29. Dezember ins All. Knapp sieben Tage lang umrundete Shenzhou IV die Erde, insgesamt 108 Mal. Am vergangenen Sonntag landete die Rückkehrkapsel in der Inneren Mongolei, ein Modul verblieb zu weiteren Forschungszwecken im Orbit. Bei dem Testflug sollen erstmals sämtliche Flug- und lebenserhaltenden Systeme für die Astronauten erfolgreich getestet worden sein.

Noch während Shenzhou IV die Erde umrundete, gab es Verlautbarungen zum Starttermin eines bemannten chinesischen Raumfluges. Das Staatsfernsehen zeigte außerdem Bilder von der gelandeten Kapsel, zwei Astronauten-Testpuppen waren dabei zu sehen. Sogar der Name des potenziellen ersten „Taikonauten“, wie die Raumfahrer in China heißen, wurde in den Medien genannt.

Eine Überraschung: Trotz des großen propagandistischen Aufwandes, mit dem chinesische Medien jeden der vier Shenzhou-Flüge seit 1999 begleiteten, herrschte bisher eine große Mauer offiziellen Schweigens. Die Kosten des „Projektes 921“, so der Codename für das bemannte chinesische Raumfahrtprogramm, das unter militärischer Kontrolle steht, sind unbekannt. Die Shenzhou-Flüge wurden vorher nicht angekündigt, nur ausnahmsweise Fotos von den Kapseln veröffentlicht. Schon gar nicht konnten ausländische Experten Flugdaten oder Ergebnisse von Experimenten einsehen, geschweige denn die Shenzhou-Technologie in Augenschein nehmen.

Besonders große Geheimnistuerei herrschte nach dem zweiten Testflug des „göttlichen Schiffes“, im Januar 2001. Westliche Experten werteten es als Zeichen, dass bei der Landung der Kapsel etwas schief gelaufen war.

Statt Dementis zu solchen Spekulationen kamen aus China bisher nur pathetische Gesten und vollmundige Ankündigungen. Die Testpuppe des ersten Shenzhou-Fluges wurde von der Staats- und Parteiführung in Peking wie ein lebender Volksheld empfangen – ein beispielloser Akt in der Raumfahrtgeschichte. Das Land werde bald einen Taikonauten ins All schicken, erklärten chinesische Raumfahrtexperten in den vergangenen Jahren immer wieder. China plane außerdem eine eigene Raumstation und eine Mondkolonie.

Ob es dazu technologisch in der Lage ist, darf bezweifelt werden. Schon die Shenzhou-Raumschiffe gäbe es ohne russische Hilfe vermutlich nicht. Das „göttliche Schiff“ ähnelt dem russischen Sojus-Modell. Es ist aber größer und könnte vom Aufbau her Grundelement für eine zukünftige Raumstation sein, an die weitere Module angekoppelt werden. Shenzhou bietet drei Personen Platz und hat statt zwei Solarmodulen wie Sojus derer vier. Das Docking- und Lebenserhaltungssystem für Shenzhou sowie Druckanzüge für Astronauten hat China mutmaßlich von Rußland gekauft und nachgebaut. Zudem haben russische Experten chinesische Wissenschaftler und Ingenieure für das bemannte Raumfahrtprogramm beraten.

Einige chinesische Raumfahrtexperten geben zu, dass ihr Land zwar funktionierende Raketen bauen könne, aber größere Probleme mit der Spitzentechnologie für Satelliten und Raumfahrzeuge habe. Die meisten Wissenschaftler in China bestreiten die Vermutung einer Sojus-Kopie jedoch vehement und betonen immer wieder, dass für das Shenzhou-Programm ausschließlich selbst entwickelte Technologie benutzt werde. So wollen chinesische Ingenieure beispielsweise für den hitzeresistenten Wiedereintrittsschild der Shenzhou-Rückkehrkapsel ein besonders gewichtssparendes Material entwickelt haben.

Zumindest im Bereich der unbemannten Raumfahrt hat China seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt und kann auf dem internationalen Markt für Satellitenstarts durchaus mitkonkurrieren. Das Land verfügt über mehr als dreißig Jahre eigene Raumfahrterfahrung. 1975 holten chinesische Wissenschaftler erstmals eine Kapsel zurück aus dem All, 1984 startete China seinen ersten Telekommunikationssatelliten, und 1990 beförderte es erstmals einen US-Satelliten in den Weltraum. Inzwischen hat China mehr als zwei Dutzend ausländische Satelliten ins All gebracht, darunter europäische und solche des Iridium-Satellitentelefonnetzes. Nach Angaben der „China Great Wall Industrial Corporation“, dem Marketing-Unternehmen des chinesischen Raumfahrtprogramms, ist China mit neun Prozent am weltweiten Satellitenstartmarkt beteiligt. China bietet eine billige Alternative zu Europa oder den USA.

Inzwischen scheint sich China jedoch auch in Bezug auf einen bemannten Flug technologisch reif genug und sicher zu fühlen. Nach dem jüngsten Testflug zweifelt kaum ein Experte mehr daran, dass das Land, wie angekündigt, noch in diesem Jahr einen Taikonauten ins All schicken wird.

Es ist für China wohl auch eine Frage des nationalen Stolzes – selbst wenn der Milliarden kostet. Das Land fühlt sich bei der internationalen Raumfahrtkooperation unterbewertet und ausgeschlossen. So hat China in den letzten Jahren mehrfach Interesse bekundet, sich an der ISS technisch und finanziell zu beteiligen. Vor allem die USA lehnen eine solche Kooperation ab, solange China keine Kontrolle beim Export seiner Waffen- und Raketentechnologie zulässt und eine bessere Kooperation im Rahmen des Nuclear Non-Proliferation Treaty verweigert.