Kritik bitte erst nach den Wahlen

Kassenärzte sollen sich weiterbilden. Ihre Zulassung gilt nicht mehr auf Lebenszeit – so fordern es SPD-Eckpunkte zur Gesundheit. Die Grünen bieten kaum eigene Ideen. Trotzdem wird das Konzept erst nach den Landtagswahlen veröffentlicht

von ULRIKE WINKELMANN

Das gibt’s nicht oft: sprachlose Ärztefunktionäre. Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), mochte den jüngsten Vorstoß der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gestern nicht kommentieren. „Wir reden nicht mehr über jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird“, sagte er. Die Kassenärzte wollen nun erst einmal „abwarten, was wirklich beschlossen wird“.

Zwei Maßnahmen hatte Schmidt am Mittwoch den Gesundheitsexperten der SPD-Fraktion präsentiert, die über die bereits bekannten Pläne einer „Gesundheitsreform 2003“ hinausgehen: Erstens sollen Kassenärzte ihre Zulassung nicht mehr auf Lebenszeit erhalten, sondern deren Verlängerung an Fortbildungen geknüpft werden. Zweitens sollen Ärzte-, aber auch Kassenfunktionäre ihre Gehälter offenlegen müssen. Dieser zweite Vorschlag wurde gestern allerdings von Gudrun Schaich-Walch, SPD-Gesundheitsexpertin, schon als „problematisch“ bezeichnet.

Wie das „Eckpunkte“-Konzept der Ministerin nun endgültig aussehen wird, soll die Öffentlichkeit jedoch erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar erfahren. Sonst wäre zu befürchten, dass sich die Wahlkämpfer der Union, aber auch der niedersächsische SPD-Landeschef Sigmar Gabriel durch Kritik am Schmidt-Konzept profilieren wollten, hieß es gestern.

Im Wesentlichen sind Schmidts Gesetzesvorhaben für dieses Jahr nun jedoch bekannt: Die Krankenkassen sollen mit Ärzten und Kliniken auch Einzelverträge abschließen können. Dadurch wird das Verhandlungsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen gebrochen. Die Krankenkassen sollen leichter fusionieren können. Außerdem sollen sie ihren Versicherten Vergünstigungen anbieten können, wenn sie erst zum Haus- statt zum Facharzt gehen. Die Krankenhäuser sollen Patienten auch ambulant behandeln. Der Versandhandel mit Medikamenten soll legalisiert, ein Institut zur Qualitätssicherung in der Medizin eingerichtet und ein Patientenbeauftragter ernannt werden.

Die mehrfach angekündigte Patientenchipkarte, auf der auch medizinische Angaben zum Versicherten festgehalten werden können, wird es allerdings nicht so bald geben. Denn bis klar ist, wer die Technik entwickeln und verkaufen darf und wie der Datenschutz eingehalten wird, dürfte mindestens ein weiteres Jahr ins Land gehen. Mit welchen Einsparungen für die Krankenkassen das Ministerium rechnet, ist ebenfalls noch vollkommen unklar.

Was die Reformschritte 2003 angeht, so schließen sich die Grünen offenbar in allen Punkten der Ministerin an. In einem Papier, das gestern auf der Grünen-Fraktionsklausur in Wörlitz beraten wurde, kommt nur genau ein Vorschlag vor, den Schmidt noch nicht gemacht hat: die Gründung einer „Stiftung Gesundheitstest“.

Was allerdings die Reformen betrifft, die die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung jenseits des Jahres 2003 sichern sollen, so weichen die Grünen von der SPD ab: Von der Rürup-Kommission verlangen sie zu prüfen, wie Miet- und Zinseinkünfte in die Berechnung von Kassenbeiträgen einbezogen werden können. Das wird dem Chef der Kommission zum Umbau der Sozialsysteme entgegenkommen. Denn auch Bert Rürup will die Kassenbeiträge von den Löhnen abkoppeln. Zweite Idee ist daher, auch „Beamte, Selbstständige, Abgeordnete“ in die gesetzliche Versicherung einzubeziehen und die Gratis-Ehegattenversicherung abzuschaffen. Morgen wollen SPD und Grüne in Wörlitz gemeinsam das Thema Gesundheit beraten.

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