Tief in Bayern (Teil 1)
: Die innerdeutsche Ausländerin im „Arbeitskreis Zuagroaste“

Marianne Zacherl trägt Dirndl, ist aber in Aachen geboren. In der Bayernpartei gilt sie deshalb als Beispiel für Integration.

Am Sonntag wählt Bayern eine neue Regierung. Die taz erzählt bis dahin täglich eine Geschichte aus diesem besonderen Bundesland.

In der S-Bahn steht noch der Wiesendunst vom Vortag, am Marienplatz drängelt man sich an drei japanisch aussehenden Lederhosenträgern die Treppe hoch, bewundert am Alten Rathaus eine Reisegruppe in Jankerln und Dirndln, quetscht sich am Eingang des Weissen Bräuhauses durch eine Blaskapelle, freut sich also, dass es immer bayerischer und bayerischer wird, und dann das:

Der Mann, mit dem man sich verabredet hat, weil er der erste Münchner Stadtrat der Bayernpartei ist und damit die Hoffnung des Bajuwarentums schlechthin, dieser Mann sitzt in schwarzer Hose und weißem Hemd vor seinem Spezi mit Zitrone und erklärt, dass er im Leben noch nie eine Lederhose besessen hat.

Wenigstens redet Thomas Hummel, 26, Jurastudent, Stadtrat und Landtagskandidat, bayerisch. Und er hat die Zacherls mitgebracht, deren Name und Outfit nichts zu wünschen übrig lassen, obwohl sie gar keine Waschechten sind.

Gut, Peter Zacherl kam mit elf nach München, aber an Marianne Zacherl kann Hummel etwas Erstaunliches präsentieren: ein ehrgeiziges Integrationskonzept. Denn zwar sitzt Marianne Zacherl im Dirndl am Tisch, aber ursprünglich kommt sie aus Aachen. Und wenn sie will, kann sie immer noch reden wie die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Aber ebenso gut kann sie in den Bayerischmodus umschalten, sodass sie schon aufpassen muss bei der Arbeit an der Kaufhauskasse, damit die Touristen sie verstehen.

Die Bayernpartei – ihr oberstes Ziel ist immer noch die Unabhängigkeit von Deutschland – öffnet sich. München gehört schließlich zu den drei deutschen Großstädten mit dem höchsten Ausländeranteil – die „innerdeutschen Ausländer“ nicht mitgerechnet. Im Januar hat Hummel den „Arbeitskreis Zuagroaste“ der Bayernpartei gegründet.

Innerdeutsche wie Marianne Zacherl zählen dazu, zwei Italiener, ein Tscheche, ein Grieche. „Und zwei Türken, die bayerischer reden als die meisten Münchner“, sagt Hummel. Der Knaller: „Unter den Aktiven sind die Nichtbayern in der Mehrheit.“

An Marianne Zacherl kann man sehen, dass nach erfolgter Transformation das Pochen aufs Bayerische überaus entschlossen werden kann. Die Marga Beckstein! „Da konnte Frau Stoiber sein, wie sie wollte, sie kam im Dirndl auf die Wiesn“, schimpft sie. Sie vergisst sogar ihr Bayerisch und sagt im Aachener Platt: „Wenn se erste Dame von Bayern is, soll se ’n Dirndl tragen.“

Das Integrationskonzept ist wichtig, weil die Bayernpartei vor jeder Wahl Unterschriften sammeln muss, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden. Und da erlebt Thomas Hummel die Zugereisten sehr aufgeschlossen gegenüber seiner Hauptforderung der Libertas Bavariae, die die Freiheit der Raucher oder den Kampf gegen den Überwachungsstaat einschließt.

Etwas zuwiderlaufen könnte dem Integrationskonzept dagegen die Forderung nach mehr Bayerisch in Kindergärten und Schulen. Dort, das hat Hummel daheim in Fürstenfeldbruck selbst erfahren, werden die Erzieher und Lehrer angehalten, hochdeutsch zu sprechen. Er hat ja selbst schon angefangen zu preußeln. Die Bayernpartei will deshalb sprachspezifische Gruppen. „Dös is scho a Form von Segregation“, meint Hummel. „Aber in der Situation hilft’s nix, sonst simma dabei, ’s Bayerische auszurotten.“ GEORG LÖWISCH

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