Sympathische Inquisitoren

Das dreiteilige Doku-Drama „Die geheime Inquisition“ im ZDF betrachtet die Scheiterhaufen neuzeitlicher Ketzerprozesse aus der Sicht der Glaubenswächter: Das ist so gefährlich wie aufregend

Sie kämpfen gegen Freigeister wie Voltaire – am liebsten aber gegen sich selbst

von PHILIPP GESSLER

Manchmal macht es sich die katholische Kirche sehr einfach: „Wir haben nichts zu befürchten“, sagt Alejandro Cifres, „denn die so genannten Fehler der Kirche waren Fehler der Kinder der Kirche. Und schlechter, als es schon ist, kann das Image der Inquisition nicht werden.“ Der smarte Monsignore ist Leiter des Archivs der Glaubenskongregation des Vatikan in Rom – langweilig? Keineswegs. Der spanische Geistliche verwaltet, was von 400 Jahren Unterdrückung, Folter und Scheiterhaufen übrig geblieben ist und bis vor kurzem top secret war, die Akten der „(Heiligen) Römischen Inquisition“.

Das ZDF sendet ab morgen ein dreiteiliges „Doku-Drama“ des Regisseurs Jan Peter und des Autors Yury Winterberg über diese Institution, die als ältester noch heute tätiger Gerichtshof und Geheimdienst der Welt gilt – und auch wenn sie heute harmlos Glaubenskongregation heißt: Unter Joseph Kardinal Ratzinger verbreitet sie zumindest innerkirchlich immer noch Furcht.

Doch Vorsicht: Wem beim Stichwort „Inquisition“ zuerst fanatische Dominikanerkutten vor brennenden Scheiterhaufen à la „Name der Rose“ einfallen, wird bei diesen Dokumentationen enttäuscht. In der Serie „Die geheime Inquisition“ geht es nicht um das Mittelalter, sondern um eine neuzeitliche Institution, die im Zuge und als Waffe gegen die Reformation 1542 als „Heiliges Offizium“ gegründet wurde. Auch in dieser Zeit gab es Ketzerverbrennungen, Verhöre und Folter. Die Stärke des „Doku-Dramas“ aber macht es aus, den Horror einzuordnen, sich dieser Leidensgeschichte eher intellektuell zu nähern: Das Filmteam, das nach eigenen Angaben erstmals die Akten der Glaubenskongregation filmen durfte, erklärt, warum die Inquisitoren so handelten, wie sie es taten. Die „Inquisition“, die wir vor allem aus der Sicht der Opfer kennen und verurteilen, erscheint so in einem anderen, ja aufregenden Licht. Das entschuldigt ihre Sünden nicht, lässt aber besser verstehen, wie es zu ihnen kam: Aufklärung im besten Sinne.

Der Perspektivwechsel der Serie, natürlich erst ermöglicht durch die Erlaubnis zur Einsicht in die bibliophilen Schätze des Archivs, vermittelt erstaunliche Erkenntnisse: Gerade die erste Sendung („Feuer des Glaubens“) korrigiert das Bild der Inquisition von einem monolithischen Block blinder Fanatiker. Bürokraten werden in ihren Reihen sichtbar, Intellektuelle, Karrieristen und Politiker, die einen Großteil ihrer Zeit damit verbrachten, sich gegenseitig auszustechen.

Da ist beispielsweise der Provinzinquisitor Giulio Santori, der 1564 zu seinem Großinquisitor Michele Ghisleri nach Rom zitiert und dabei in Folge einer Intrige überraschend selbst inhaftiert wird. Santori aber verteidigt sich so gut, dass er, als sich die Anschuldigungen als falsch erweisen, im „Heiligen Offizium“ Karriere machen darf, nachdem Ghisleri als Pius V. an die Spitze der Kirche gekommen war. Santori wird schließlich selbst Großinquisitor, bleibt es unter 13 Päpsten und häuft in mehr als 40 Jahren zeitweise mehr Macht an als diese selbst: Er weiß, dass selbst der Papst verbotene Bücher las. Als die Werke von Santoris Berater Robert Bellarmin, des führenden Theologen seiner Zeit, auf dem Index verbotener Bücher landen, hält Santori zu ihm und hebt den Bann nach dem Tod des Papstes einfach wieder auf. Die Pointe: Nach Santori wird Bellarmin oberster Glaubenswächter.

So geht es weiter durch die Jahrhunderte: Die Inquisitoren kämpfen gegen Freigeister wie Giordano Bruno, Galileo Galilei oder Voltaire – am liebsten aber gegen sich selbst. Mörderische Fanatiker wechseln sich mit mehr oder weniger sanften Reformern im „Sanctum Officium“ ab. Man kann dem „Doku-Drama“ vorwerfen, dass es zeitweise zu sehr der Denkweise der Inquisitoren folgt, so dass beispielsweise Bruno fast als geifernder Irrer erscheint, der doch, so scheint es am Ende, irgendwie zu Recht auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Auch die Faszination, ja Sympathie, die die Macher dem erzkonservativen Kardinal Ratzinger und dessen Apologien für seine Vorläuferbehörde entgegenbringen, sind doch etwas zu stark.

Dass zudem selbst Ratzingers Vorläufer, Kardinal Alfredo Ottaviani, dieser Mega-Reaktionär vor dem Herrn, noch einigermaßen positiv wegkommt, ist durchaus zweifelhaft: Es wirkt, als hätten sich Regisseur und Autor hier von der intellektuellen Brillanz eines Ratzinger und der Begeisterung über das Öffnen des Archivs für sie geistig über den Tisch ziehen lassen. Andererseits wird gerade im dritten und kritischsten Teil der Serie („Wächter der Kirche“) am härtesten mit der Römischen Inquisition beziehungsweise der Glaubenskongregation abgerechnet: Wie sie einen Jahrhunderttheologen wie Hans Küng mundtot zu machen und zu isolieren versucht. Wie die Befreiungstheologie einer „Kirche der Armen“ von Ratzinger bekämpft, ja ein Leonardo Boff zeitweise regelrecht fertig gemacht wird – das alles wird eindringlich gezeigt und angemessen verurteilt.

Zu den schönsten Szenen der Serie gehören dabei die Gegenschnitte zwischen zwei Antipoden im fortwährenden Kampf zwischen Rom und der Wirklichkeit: Da sieht man einen Priester aus São Paulo, der sich Ärger von oben einhandelt, weil er Kondome für Aidskranke verteilt – freundlich, entspannt, in ein weißes Hemd gekleidet und in Licht getaucht. Auf der anderen Seite der Mitarbeiter Ratzingers und „Opus Dei“-Anhänger Kardinal Alfonso Trujillo – ein bitterer Mann, humorlos, dunkel gekleidet, im Schatten sitzend: Er lehnt, klar, Kondome ab. Selbst für HIV-Infizierte!

Fazit: Der ZDF-Dreiteiler sei allen empfohlen, die bereit sind, ihre eigenen Urteile oder Vorurteile über „Die geheime Inquisition“ in Frage zu stellen. Manchmal sollte man es sich eben nicht so leicht machen.

„Die geheime Inquisition“, ZDF, 12., 19. & 26. 1. 03, 19.30 Uhr