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: ARNO FRANK über die Schwierigkeit, den „Focus“ zu loben

Jugendlicher Leichtsinn, folgenschwerer Fehler

Es war kalt. Bitterkalt. So verdammt kalt, dass meine Atemwolken sofort froren und mir vor die Füße fielen. Damals, am kommenden Montag vor genau zehn Jahren, war ich morgens um sieben Uhr auf dem Weg zum Kiosk, in der Tasche den Einkaufszettel meiner Kollegen: „8 Bier, 2 Schnaps, 7 Brötchen mit Fleischwurst, 1 Brötchen mit Leberkäse. Und was zum Lesen.“ Wer in der hesssischen Kleinstadt Marburg sein Geld fürs Studium verdienen musste, der landete eben recht schnell auf einer Baustelle.

Mit Horst und Karl-Heinz also schleppte ich Steinwolle, Zementsäcke und Wandplatten, mit Joscha und Lukas besuchte ich germanistische Seminare. Wo ich, von linken Professoren, allerlei Wissenswertes über das hehre Projekt von der Aufklärung des Proletariats und die Theorie einer „linken Bild-Zeitung“ lernte. Umso ernüchternder die Praxis, weil Horst und Karl-Heinz auch nicht durch idealistisches Zureden („Wie wär’s mal mit’m Spiegel?“) zu einem Verzicht auf ihre allmorgendlichen Lektüre der ganz normalen Bild-Zeitung zu bewegen waren. Für mich, die langhaarig-linkische Aushilfe, gab es nur Spott und Gelächter: „Ey, was studierschen? Pornografie? Höhö!“ Einmal nahm mich sogar der Oberchef, ein feister Bauunternehmer, beiseite und erklärte: „Wenn du, Freundchen, einen Betrieb mit 40 Mitarbeitern leiten müsstest, dann würdest du auch die CDU wählen.“

Also unterließ ich künftig jegliche Agitation und verlegte mich ganz auf die stumme Beobachtung. Und lernte, dass auch der Bild-Leser die Bild-Zeitung mit der nötigen Ironie zu lesen weiß. Und dass Zeit- oder Spiegel-Texte einfach zu lang sind für eine Frühstückspause.

Bis ich an jenem kalten Morgen „was zum Lesen“ vom Kiosk mitbrachte. Nicht den Spiegel, sondern so was Ähnliches und trotzdem ganz Neues, ein Nachrichtenmagazin ohne intellektuelle Attitüde, ohne meinungsmonopolistische Arroganz augsteinscher Prägung, dafür aber mit bunten Bildern und langen Listen zum Angucken – er schlug ein wie eine Bombe, der erste Focus.

Nicht ohne Stolz sah ich die von Burda angepeilte „Info-Elite“ zwischen alten Bierflaschen auf alten Farbeimern hocken und lesen. Ein Nachrichtenmagazin! Und ich war Geburtshelfer! Dass dieser Focus viel mit dem Stern, wenig mit dem Spiegel, nichts mit dem Proletariat und überhaupt nichts mit Aufklärung zu tun hat, das merkte ich erst später. Zu spät. Ich hatte mich schuldig gemacht. Und beschloss, mein Leseverhalten drastisch zu ändern.

Falls Ihnen 1993 an einem sehr kalten Januarmorgen in Marburg mal wieder die taz aus dem Briefkasten geklaut worden ist – Horst, Karl-Heinz und ich haben wirklich sehr über den ©TOM gelacht.