Lula allein unter Neoliberalen

Brasiliens Präsident fährt zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, zum Ärger vieler Linker

PORTO ALEGRE taz ■ Emir Sader ist empört: „Auf der falschen Seite der Barrikade“ werde Lula stehen, seine Teilnahme am Weltwirtschaftsforum von Davos komme einer Mund-zu-Mund-Beatmung für einen Leichnam gleich. Der Grund für die Empörung des Soziologen aus Rio de Janeiro: Der brasilianische Präsident Lula da Silva will zum Weltwirtschaftsforum nach Davos fliegen – dem Treffen der hohen Politiker und Wirtschaftsbosse.

Manchmal hat es den Anschein, als wären die Organisatoren des Weltsozialforums ihrer eigenen Rhetorik aufgesessen. Emir Sader ist in Brasilien einer der Vordenker der Bewegung und eine Schlüsselfigur in Porto Alegre.

Nun kommt der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zwar auch zum Weltsozialforum – wie schon 2001 und 2002. Doch bezieht das „Festival der Alternativen“ seine Identität gerade aus der Opposition zu dem zeitgleich stattfindenden Weltwirtschaftsforum von Davos.

Bestes Beispiel für diesen gewollten Gegensatz war eine Live-Videoschaltung vor zwei Jahren, in der die Argentinierin Hebe de Bonafini von den „Müttern der Plaza de Mayo“ den Spekulanten George Soros als „Monster“ beschimpfte. Lula analysierte damals treffend: „Das Weltwirtschaftsforum erfüllt eine strategische Rolle bei der Formulierung der Ideologie all jener, die die neoliberale Politik auf der ganzen Welt durchsetzen möchten.“

Das wachsende Medienecho zeigt: Das Treffen zigtausender Globalisierungskritiker in Porto Alegre übt mittlerweile eine große Anziehungskraft aus. „Wir haben gewonnen“, so Emir Sader, „weil wir bewiesen haben, dass die großen Zukunftsfragen bei uns diskutiert werden.“ In Davos hingegen scheint die jahrelang kultivierte Euphorie über die „Chancen der Globalisierung“ Ratlosigkeit und Kriegsgerede gewichen zu sein.

Dass der Pragmatiker Lula als frisch gewählter Präsident die Einladung nach Davos angenommen hat, ist dennoch keine Überraschung. Ebenso wie er bereits mit George W. Bush und den Präsidenten von IWF und Weltbank zusammentraf, wird er auch in den Schweizer Bergen für seine Vision eines Brasiliens ohne Hunger werben. So, wie er auf die Mitarbeit der einheimischen Unternehmer für das Gelingen seines Projekts angewiesen ist, umwirbt er im Ausland Investoren und Banker.

„Es ist im Grunde eine Schlacht um Symbole“, räumt Antonio Martins von Attac-Brasilien ein. „Wir wollen möglichst viele Menschen zu Lulas Auftritt hier mobilisieren.“ Anschließend, so sein Wunsch, solle der Präsident in der Schweiz die Botschaft vom „alternativen Labor Brasilien“ verkünden, „jener Ideen, für die das Weltsozialforum steht“. GERHARD DILGER