Die Welt als Nachrichtenschleife
Poesie der Welt

Zehn Jahre NDR Info: Das sind rund 350.000 mal die Nachrichten im Viertelstundentakt, die der Hamburger Sender in die Welt schickt. Vier taz nord-AutorInnen erklären, was NDR Info für sie bedeutet: Von der Gulaschkanone des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis zum Rundfunkpoesie-Projekt

Und wenn Inforadio die subversive Erfindung eines frustrierten Lyrik-Redakteurs wäre? Der Gedanke wird nachvollziehbar, wenn man sich auf eine Definition von Lyrik verständigt. Versuchen wir’s mal mit der: Bei Lyrik geht es nicht primär darum, mit Sprachbildern zu protzen – sondern Text so zu organisieren, dass sein Informationsgehalt die Dominanz verliert.

Völlig zerstören lässt der sich nicht. Aber ebenso wichtig wird die Materialität der Sprache: Laute, Klänge, Rhythmen. Und das beste Mittel, die zu betonen, sind Wiederholungen. Deshalb arbeiten Gedichte ständig mit ihnen: Der Reim wiederholt Endsilben, die Alliteration Anlaute, die Anapher Versanfänge. Eine Information aber lässt sich nicht wiederholen: Beim zweiten Mal ist sie kalter Kaffee. So hätte eine Tageszeitung, die auf jeder zweiten Seite denselben Text bringt, beste Chancen, ihre Leser zu verprellen – und einen Kulturpreis zu erringen.

Bei Info-Radio aber ist Wiederholung das Grundprinzip: Längere Beiträge kehren alle vier Stunden wieder, und alle 30 Minuten meldet sich eine kuschlige Männerstimme mit der säuselnden Interjektion „NDR Info, die Nachrichten“. Danach verliest eine Frauenstimme über einem beruhigenden Klangteppich „die Schlagzeilen“ und dann beginnt, nach rätselhaftem Fahrplan und stets geviertelt durch ein „Bingbong“-Lautsignal, eine in Minutenskizzen offerierte Reise durch Länder, Sphären, Kontinente. Jawohl, der Weltgeist weht, klein sind die Rückungen und subtil die Pointen: Gestern etwa wurde ironischerweise für einen Somalia-Bericht zu einer Kollegin nach Köln geschaltet. Liegt ja auch näher dran an Afrika.

Nein, als treuer Hörer weiß ich: Inforadio ist ein einzigartiges seit zehn Jahren betriebenes Rundfunkpoesie-Projekt des NDR – und in der Grundtendenz versöhnlich. Die so ununterbrochene wie ruhige Aufsicht auf die Fährnisse einer aus dem Gleichgewicht geratenen Welt ermöglicht, sich ihrem Wahnsinn und ihrer Hektik zu entziehen. Nichts wäre auf langen Autofahrten durch die norddeutsche Tiefebene gesünder, besser, sicherer. Außer vielleicht Musik von Philipp Glass. bes

Nur für Streber

NDR Info lässt tief blicken. In die Welt der Nachrichten. Und in das Über-Ich seiner Hörer.

NDR Info ist das Programm, das die Menschen hören, um bereits verwendete Zeit gleich noch mal zu verwenden. Sie hören NDR Info im Auto, im Bad, beim Fensterputzen, immer dann, wenn sie glauben, die aktuelle Tätigkeit fülle sie nicht aus. Sie wollen mehr aus sich und der Zeit machen und pumpen sie deshalb zusätzlich mit aktuellen Informationen voll. Ob die Texttapete dabei gerade Wirtschaft, Politik, Sport oder Kultur abbildet, entscheidet der Zufallsgenerator des NDR Info-Programmschemas. Was kommt noch mal wann bei NDR Info? Das weiß nur, wer in seinem Leben einen fest wiederkehrenden Zeitpunkt für das Fenster-Putzen reserviert hat.

Oder aber, wer zur Gruppe der Mega-Über-Ich-Hörer gehört. Die haben dann NDR Info im Küchenradio eingestellt und fangen morgens noch vor dem ersten Kaffee damit an, auf dem Laufenden zu sein. NDR Info zum Frühstück, das ist mehr als die Doppelverwendung von Zeit, das ist ein Signal an sich und die anderen: Seht, wie allzeit bereit ich bin. Wie strebsam inmitten der Informationsgesellschaft. Wie anders als die Zeitungsleser, die sich durch ewig lange Artikel quälen und dann mit einem schrecklich schlechten Verhältnis von Informationspartikel pro Minute ihr Frühstück beenden. Um dann möglicher Weise beim Zähneputzen nur Musik zu hören. Oder gar nichts. kli

Kritik und Ritus

Natürlich ist es nicht die einzige Sendung, die sich Facetten jüdischen Lebens in Deutschland widmet. Auch ist der Termin – Freitagabend, der Vorabend des jüdischen Sonntags – nicht überraschend für eine Sendung wie „Schabat Schalom“.

Aber dieses Format betreibt trotz des quasi-religiösen Termins keinerlei Nabelschau. Es versteht sich viel eher als kritisches Resümee der Woche und wird dafür vermutlich von der jüdischen Community nicht uneingeschränkt geliebt. Ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten berichten die Moderatorinnen über genau diese – egal, ob es sich um Querelen in der jüdischen Gemeinde Berlins, um die Frage, ob man Jungen noch beschneiden soll, oder um eine jüdische Internet-Partnerbörse handelt. Manches Thema ist zudem zeitnäher, als man glaubt: Angesichts der Tatsache, dass vor einigen Monaten ein Stück von Louis Lewandowsky so unerklärlich wie kurzfristig aus einem NDR-Studiokonzert gestrichen wurde, ist es hoch aktuell, über diesen Reformer der Synagogalmusik zu berichten, der erstmals die Gemeinde in seine Chorwerke einbezog und der bis dato als christlich verschrieenen Orgel eine tragende Rolle zuwies.

Man sieht: Diese Sendung neigt weder zu Insidertum noch zu liebedienerischem Konformismus. Das Schönste aber: „Schabat Schalom“ ist ein gelungener Mix aus Information, Musik und Ritus, ohne aufdringlich zu sein. Und die Thora-Auslegung am Schluss und die religiösen Gesänge zum Sabbat: eine unaufdringliche, unsentimentale Selbstvergewisserung, so selbstverständlich wie der Schlussakkord des sonntäglichen Gottesdienstes. PS

„Wissen fassen!“

Von wegen Häppchen-Journalismus: Sozusagen die Gulaschkanone des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Sendung „Streitkräfte und Strategien“ auf NDR-Info. Ordentlich Fleischeinlage bieten lange Berichte wie aus der guten alten Zeit des Hörfunks. Gründliche strategische Analysen, bisweilen erschütternd tiefe Einblicke in die Bundeswehr-Wirklichkeit oder Ausflüge in die Weltinnenpolitik – man muss weder Militarist noch Waffennarr sein, um die gründlich recherchierten Fakten und abgewogenen Einschätzungen zu mögen. Es reicht das Bewusstsein dafür, dass auf dieser Welt militärische Denk- und Handlungsweisen existieren und wirken. Dabei ist die Sendung keine Werbeveranstaltung für die Bundeswehr: Man kann sich gut vorstellen, dass der Bendler-Block gelegentlich erbebt, wenn die Sendung mal wieder unaufgeregt Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit offen legt. Für den Laien-Hörer ist es dagegen ein Genuss, wenn es an jedem zweiten Samstagabend heißt: „Wissen fassen!“ jank